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Regierungsbildung in Thüringen Erfurter Pakt

Es ist eine historische Vereinbarung: Der Linken-Politiker Ramelow soll mit Hilfe der CDU zum Thüringer Regierungschef gekürt werden. Die Christdemokraten wollen im Landtag mit Rot-Rot-Grün vorübergehend kooperieren.
Aus Erfurt berichtet Timo Lehmann
Die Fäuste geballt: Bodo Ramelow

Die Fäuste geballt: Bodo Ramelow

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Martin Schutt/ dpa

Bodo Ramelow steht am Freitagabend zwischenzeitig kurz vor der geschlossenen Tür des Raums F.125 im Thüringer Landtag. "Bodo allein zu Haus", ruft er den Fotografen zu, und: "Man nennt mich auch Türsteher." Ramelow posiert, er tanzt ein wenig. Er weiß zu diesem Zeitpunkt schon, dass er wieder Ministerpräsident Thüringens werden soll, auch wenn er das öffentlich noch nicht sagen kann.

Erst anderthalb Stunden später treten die Vertreter von Linken, SPD, Grünen und CDU vor die Kameras und verkünden ihr Verhandlungsergebnis: Bodo Ramelow soll wieder Ministerpräsident von Thüringen werden. Am 4. März soll er im Landtag zur Wahl stehen. Die Christdemokraten ermöglichen die Wiederwahl des linken Ministerpräsidenten, eine historische Entscheidung.

Vier Stimmen fehlen Rot-Rot-Grün für die absolute Mehrheit. Wie viele CDU-Abgeordnete für Ramelow stimmen, soll geheim bleiben, um nicht der AfD in die Hände zu spielen, heißt es aus der Verhandlungsrunde. Die CDU will sich dazu öffentlich nicht äußern und verweist auf eine "geheime Wahl".

Von 12:30 Uhr bis 21:30, also neun Stunden, hatten die vier Parteien bei Brezen und Kürbissuppe im Thüringer Landtag gerungen. Knackpunkt: der Zeitpunkt der Neuwahlen. Die CDU wollte sie am liebsten ganz vermeiden, die SPD pochte bis kurz vor Verhandlungsende auf einen raschen Neuwahltermin. Gefährdete deshalb sogar eine Einigung, wie es von Teilnehmern heißt. Erst nachdem Ramelow ein Machtwort gesprochen habe, einigte man sich auf April 2021. Die Minderheitsregierung mit CDU-Unterstützung soll also nur vorübergehend sein.

Keine CDU-Anträge mit AfD-Unterstützung

Das Ergebnis insgesamt sei ein "Stabilitätspakt", wie er von einigen genannt wird, offiziell: "Stabilitätsmechanismus". Die CDU nennt sich eine "konstruktive Opposition". Der Landesvize Mario Voigt spricht am Freitagabend von einem "historischen Kompromiss, um die Stabilität einer Minderheitsregierung herzustellen". Von "Duldung" oder "Tolerierung" will die CDU jedenfalls nicht sprechen.

Nach SPIEGEL-Informationen soll es für den Erfurter Pakt mit der CDU aber sogar einen nicht öffentlichen Vertrag geben, der von den vier Parteien unterzeichnet werden soll. Die Christdemokraten sollen der Absprache nach alle ihre Anträge in den Ausschüssen mit den Regierungsparteien abstimmen. So soll verhindert werden, dass die CDU mit Stimmen von AfD und FDP die Regierungsarbeit blockiert. Im Gegenzug soll sich auch die Minderheitsregierung mit der CDU in den Ausschüssen einigen. Etwa ein Jahr soll das so gehen, also noch kurz vor den Neuwahlen nicht mehr gelten.

Ebenso konnte die CDU eigene Inhalte durchsetzen, etwa die Erhaltung des dreigliedrigen Schulsystems und ein Investitionspaket für die Kommunen. In der kommenden Woche sollen noch Details in Kleingruppen besprochen werden. Eine Unterzeichnung des Vertrags soll nach Informationen des SPIEGEL noch vor der Wahl Ramelows stattfinden.

Es ist ein komplizierter Kompromiss zwischen den Parteien, der sich seit gut drei Tagen abzeichnete: spätere Neuwahlen, wie es die CDU wünschte, dafür die Wahl Ramelows, wie es Rot-Rot-Grün forderte.

Verstoß gegen Bundesbeschluss war unausweichlich

Die CDU Thüringen stellt sich damit gegen den Beschluss der Bundespartei, der eine Zusammenarbeit mit der Linken eigentlich untersagt. Dabei war der Verstoß zuletzt ohnehin unausweichlich. Die Situation in Thüringen war festgefahren: Im Regierungsamt befindet sich formal noch immer der mit CDU- und AfD-Stimmen gewählte FDP-Ministerpräsident Thomas Kemmerich – geschäftsführend, ohne Minister. Auch wenn die CDU raschen Neuwahlen zugestimmt hätte, was sie unbedingt vermeiden wollte, hätte sie trotzdem mit Rot-Rot-Grün einen neuen Regierungschef für den Übergang wählen müssen. Gespräche führten die Parteien auch schon vor der Kemmerich-Wahl.

Wie es nun weitergeht in Thüringen, ist dennoch nicht ganz klar, heißt es Freitagnacht aus rot-rot-grünen Kreisen. Der Noch-CDU-Fraktionschef Mike Mohring befindet sich im Rückzug. Er war bei den Verhandlungsrunden nicht dabei. Am 2. März will die Fraktion einen neuen Vorsitzenden wählen. Vier von der CDU-Fraktion bestimmte Abgeordnete verhandelten den Kompromiss. Nun werde es darauf ankommen, ob die CDU-Fraktion auch hinter dem Ergebnis stehe.

Auch der von den Parteien auf den Tag genau ausgehandelte Wahltermin dürfte noch nicht in Stein gemeißelt sein. Für eine Auflösung des Landtags braucht es eine Zweidrittelmehrheit im Landtag. Ob die in einem Jahr tatsächlich zustande kommt, ist ungewiss.