Ist das die Zukunft? | Aktualisiert: 21.4.2024 – 15.30 Uhr
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Berner Roboter zieht aus, um Leben zu retten

Er kann Kaffee machen und Leben retten. Fünf Studenten der Höheren Fachschule für Technik (HFTM) in Biel bauen einen Roboter mit vielen Talenten. Am Wochenende waren sie am Robocup German Open in Kassel dabei. Als Neulinge legten sie einen fulminanten Start hin.
von Alina Dubach/Denise Jacob

Zweimal muss Sven Imhof auf dem Weg ins Automationslabor seinen Sicherheitsbadge benutzen. Das lichtdurchflutete Zimmer im zweiten Stock ist gut gesichert. Essen und Trinken sind hier verboten. Der Roboter und sein extra erbauter Hindernisparcours warten am Ende des langen Raums – wer hier arbeitet, hat einen Fensterplatz.

Der «pro.Tec» soll auch auf unebenem Gelände sicher vorwärtskommen.
Der «pro.Tec» soll auch auf unebenem Gelände sicher vorwärtskommen.Fotos: Josia Reichen

Was drinnen abgeht, ist jedoch eine ganze Ecke interessanter als das Treiben der Passantinnen und Passanten unten auf der Strasse. Hier wird der «pro.Tec» auf sein Leben als Rettungsroboter vorbereitet. «Es macht für mich schon einen Unterschied, was die Idee hinter dem Projekt ist», bestätigt Sven Imhof. Er ist für die Organisation des «Team Solidus» zuständig, so nennt sich die Gruppe ausgewählter Studenten an der HFTM, die am Roboter mitarbeiten.

Ein grosser Teil der Planung läuft am Computer ab.
Ein grosser Teil der Planung läuft am Computer ab.
Luca von Allmen (links) und Sander Imboden besprechen das weitere Vorgehen.
Luca von Allmen (links) und Sander Imboden besprechen das weitere Vorgehen.

Die erwähnte Idee hinter dem «pro.Tec» ist nicht etwa Geld in die Taschen der Höheren Fachschule oder einer Firma zu spülen. Sondern einen Roboter zu konstruieren, der im Katastrophenfall dabei helfen kann, Leben zu retten.

Robocup German Open

An den German Open kann in vier Sparten gestartet werden: Soccer (Fussball), Rescue (Rettung), @home (zu Hause) und industrial (Industrie).

Die schweren Erdbeben in Japan im Jahr 2001 motivierten die Gründung der Robocup Rescue Liga. Roboter sollen die Einsatzkräfte bei der Rettung und dem Schutz von Leben und Sachwerten unterstützen. Wettbewerbe finden mit realen und simulierten Robotern statt.

Die Roboter bringen Fähigkeiten in den Bereichen Mobilität, Kartierung, Planung und weiteren Bereichen mit. Sie müssen Szenarien durchspielen und etwa die Suche nach Vermissten in unwegsamem Gelände oder Massnahmen zur Gefahrenabwehr ausführen.

Die German Open fanden vom 17. bis 21. April in Kassel, Deutschland statt. Das Team Solidus der HFTM startete mit ihrem Roboter in der Rescue Liga.

Deutschland als Chance zur Verbesserung

«Der Wettbewerb in Deutschland ist für uns weniger ein Kräftemessen, sondern eher ein Test», erklärt Sven. «Wir wurden bereits 'sur Dossier' für den internationalen Wettbewerb im Herbst aufgenommen. Das ist unser eigentliches Ziel in diesem Jahr.»

Deshalb gehe es auch nicht darum, mit allen Mitteln eine möglichst gute Platzierung zu erlangen. Stattdessen soll das Team unter Wettkampfbedingungen prüfen, was gut geht und was noch nicht klappt.

Das Team

Es war wohl etwas im Wasser im Berner Oberland. Oder hat Sven bei der Wahl seiner Studenten versehentlich nach Wohnort statt nach Leistung sortiert? «Bestimmt nicht», lacht der 32-Jährige aus Bätterkinden. Schaut man sich die Adressliste des Team Solidus an, glaubt man hier im Zweifel einfach mal dem Angeklagten. Die Teammitglieder aus Bönigen, Thun, Meiringen und Reichenbach im Kandertal könnten jedenfalls gut das Auto teilen auf dem Weg «zur Schule». Einzig Sven Rufer reist aus Jegenstorf an.

Das Team Solidus: Alain Rohr (Dozent), Sven Rufer (Student), Stefan Brandenberger (Fachbereichsleiter Systemtechnik), Sander Imboden (Student), Yannick Althaus (Student, Team Leader), Sven Imhof (Organisation), Luca von Allmen (Student), Simon Reichen (Student) (vlnr).
Das Team Solidus: Alain Rohr (Dozent), Sven Rufer (Student), Stefan Brandenberger (Fachbereichsleiter Systemtechnik), Sander Imboden (Student), Yannick Althaus (Student, Team Leader), Sven Imhof (Organisation), Luca von Allmen (Student), Simon Reichen (Student) (vlnr).Foto: zvg

Die Stimmung erinnert ein bisschen an eine Gruppenarbeit ohne Lehrer – wobei dieser in der Person von Sven Imhof als Leiter des Automationslabors durchaus vorhanden wäre. «Mach du doch», findet einer der Jungs, als es darum geht, irgendetwas an irgendeinem Teil des Roboters einzustellen, damit dieser vorführtauglich wird. «Ich weiss doch gar nicht, wie», kommt die postwendende Antwort. Hier hat jeder ein klar definiertes Aufgabengebiet.

«Wir sind zwar ein Team, aber im Prinzip in zwei Gruppen aufgeteilt», erklärt Sven, «einmal die Softwareentwickler und dann die Techniker für den eigentlichen Roboterbau.»

Der zweite Anlauf

Es ist der zweite Anlauf, den die HFTM am Robocup nimmt. Beim ersten Mal waren noch andere Studenten mit von der Partie, schliesslich ist das Vollzeitstudium nach zwei Jahren zu Ende. Ist das nicht ineffizient, wenn so regelmässig praktisch das ganze Projektteam ändert? «Es ist eine sehr gute Übung für das echte Leben», findet Sven «Übernehmen die Studenten einen Job, hatten sie in den meisten Fällen einen Vorgänger, auch dort gibt es eine Übergabe. Wenn jemand auf Projektbasis arbeitet, verstärkt sich das noch.

Aus den Notizen und Informationen anderer schlau zu werden und – noch viel wichtiger – selbst eine saubere Übergabe zu machen, ist sehr wichtig in diesem Arbeitsgebiet.» Schliesslich könne man sich nicht über die ungenauen Angaben beschweren, die man von Vorgängern erhalten habe, und dann selbst die gleichen Fehler machen.

Auch Türen öffnen stellt für den Roboter kein Problem dar.
Auch Türen öffnen stellt für den Roboter kein Problem dar.

So braucht es genaue Dokumentationen, die den «pro.Tec» auch für die «nächste Generation» Entwickler verständlich machen.

Der «pro.Tec»

Rund 80 Kilogramm bringt der Roboter derzeit auf die Waage. «Das ändert sich immer wieder. Je nachdem, was wir umbauen», erklärt Luca von Allmen. Der 21-jährige Böniger studiert Maschinenbautechnik und hilft beim Bau des Roboters. Zusätzlich hat er die Aufgabe des Piloten übernommen. «Das wollte einfach sonst niemand machen», grinst er.

Der «pro.Tec» kann Knöpfe drücken, Schalter umlegen, Türen öffnen – alles Dinge, die im Falle einer Katastrophe den Einsatz von Menschen ersetzen könnten.
Der «pro.Tec» kann Knöpfe drücken, Schalter umlegen, Türen öffnen – alles Dinge, die im Falle einer Katastrophe den Einsatz von Menschen ersetzen könnten.Foto: Alina Dubach

In «eingeklapptem» Zustand misst der «pro.Tec» 71 Zentimeter – das ist in etwa so viel, wie ein sehr grosser Hund. Im Akkubetrieb ist er auf seinen vier Rädern etwa vier Stunden unterwegs – «kommt darauf an, was man macht», so Luca.

Was er kann und was er tut

Was kann man denn mit ihm machen? Der «pro.Tec» kann Treppensteigen (rauf und runter), über unebenes Gelände manövrieren und dabei mit der Balance seiner Arms arbeiten, Knöpfe drücken sowie Schalter umlegen, Türen öffnen und – eigenes für das Robocup-Bewerbungsvideo – Kaffee zubereiten und servieren.

Der eigens gebaute Hindernisparcours in Biel dient der Vorbereitung auf den internationalen Wettbewerb.
Der eigens gebaute Hindernisparcours in Biel dient der Vorbereitung auf den internationalen Wettbewerb.

Gesteuert wird er von Luca, der dabei keine Sicht auf den Roboter hat. «Das wäre viel zu einfach und im Ernstfall auch nicht möglich», erklärt der Pilot. Etwas irritiert ist er dann doch, als er für die kurze Vorführung für die Plattform J direkt vor dem Roboter steht. «Die Dimensionen sind schwerer abzuschätzen, als wenn man sämtliche Kameras zur Verfügung hat», erklärt er. Und davon sind gleich neun am «pro.Tec» verbaut.

Internationale Verhältnisse

Im globalen Vergleich ist die Schweiz ein kleiner Fisch auf dem grossen Feld der Roboterentwicklung. Die Studenten der HFTM sind ausserdem «blutige Anfänger» am Robocup. Es ist erst das zweite Mal, dass sie in der Rescue Liga International starten.

Podestplatzierung am Robocup German Open in Kassel

Am Wochenende in Kassel war ihr Name «Team Solidus» Programm. Der «pro.Tec» funktionierte stabil und verzeichnete keinen einzigen Aussetzer. Im Wettbewerb galt es, in den Kategorien Mobilität und Geschicklichkeit zu punkten. Bei der Mobilität war die Fortbewegung auf unwegsamem Gelände massgebend. Bei der Geschicklichkeit zählte die feinmotorische Aktivität des Roboterarms.

«In dieser Kategorie haben wir gegenüber den anderen fünf Teams sehr gut abgeschnitten und konnten viele Punkte sammeln», erzählt Sven Imhof. «Auch Dank unserem stabilen System, welches die absichtlichen Stosssignale parieren konnte, erreichten wir den tollen zweiten Platz. Wir sind überglücklich und hoch motiviert für den bevorstehenden internationalen Wettbewerb im Juli in Eindhoven.»

Das «Team Solidus» freut sich über den zweiten Platz am Robocup German Open in Kassel und präsentiert stolz den Pokal.
Das «Team Solidus» freut sich über den zweiten Platz am Robocup German Open in Kassel und präsentiert stolz den Pokal.Foto: zvg

Der Robocup German Open in Kassel ist ein Wettbewerb im deutschsprachigen Raum. In Eindhoven werden Forschende aus der ganzen Welt erwartet. Das Teilnehmerfeld wird mit 25 Teams bedeutend grösser sein.

Mit ihrem erfolgreichen Start in Kassel positionierte sich das Team aus Biel gut. Die Motivation und der Teamgeist stimmen, sagt Imhof. Ohne Verschnaufpause – die Schule geht nahtlos weiter – tüftelt das Team nun an der Weiterentwicklung des Roboters, sodass in knapp drei Monaten erneut eine gute Platzierung angestrebt werden kann.