Interview

«Wenn man so erfolgreich ist wie die Schweiz, vermutet man im Ausland stets, etwas sei nicht sauber» – Bundesrat Maurer beklagt, die Schweiz verkaufe die Stärken ihres Finanzplatzes schlecht

Die Schweiz und Singapur wollen künftig jedes Jahr eine Fintech-Konferenz, das Point-Zero-Forum, durchführen. Im Interview sagt Bundesrat Maurer, dass sich alte James-Bond-Zerrbilder hartnäckig in den Köpfen ausländischer Beobachter halten.

Thomas Fuster, Peter A. Fischer
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Bundesrat Maurer: «Wenn man so erfolgreich ist wie die Schweiz, vermutet man im Ausland stets, etwas sei nicht sauber.»

Bundesrat Maurer: «Wenn man so erfolgreich ist wie die Schweiz, vermutet man im Ausland stets, etwas sei nicht sauber.»

Christoph Ruckstuhl / NZZ

Herr Bundesrat, der Schweizer Finanzplatz wird bei der internationalen Vermögensverwaltung zusehends bedrängt von Konkurrenten wie Hongkong und Singapur. Ein Grund zur Sorge?

Der Wettbewerb wird stärker. Und der Erfolg des Finanzplatzes ist keine Selbstverständlichkeit. Um weiter zu den Innovativsten und Besten zu gehören, sind zwei Dinge zentral: neue Technologien und Nachhaltigkeit.

Tatsache bleibt: Immer weniger Leute arbeiten im Finanzsektor, und die Zahl der Banken sinkt. Wird die Schweiz schwächer oder das Ausland stärker?

Vor allem die Finanzplätze in Asien sind infolge des regionalen Wachstums stärker geworden. Es ist eine Stärke des Schweizer Finanzplatzes, dass er zum Beispiel trotz dem Automatischen Informationsaustausch (AIA) ebenfalls an verwalteten Vermögen zugenommen hat. Es sind heute einfach andere Anleger, was eine Chance ist. Man kann die Seriosität und Zuverlässigkeit unter Beweis stellen.

Die Schweiz organisiert künftig jedes Jahr zusammen mit Singapur eine Fintech-Konferenz, das Point-Zero-Forum. Warum ausgerechnet gemeinsam mit dem grössten Konkurrenten?

Konkurrenz belebt – man darf ihr nicht ausweichen. Der grösste Konkurrent hat oft ähnliche Probleme und eine vergleichbare Ausgangslage. Die Schweiz und Singapur sind klein, flexibel und international eng vernetzt, sehr geeignete Partner. Zudem kann keines der zwei Länder das globale Spektrum allein abdecken.

Ein englisches Sprichwort sagt: «Wenn du sie nicht schlagen kannst, verbünde dich mit ihnen.» Gilt das auch für das Zusammengehen mit Singapur?

Das ist keine Anbindung. Wir sind Partner auf Augenhöhe, entwickeln uns weiter, tauschen Fähigkeiten aus. Daneben sind wir Konkurrenten.

Ist es die Aufgabe des Staates, solche Konferenzen für Finanzakteure durchzuführen?

Singapur organisiert das Singapur-Fintech-Festival von staatlicher Seite, und nun sind wir eine Partnerschaft eingegangen. Finanziert wird das Projekt von privater Seite. Selbstverständlich muss sich die Konferenz finanziell selber tragen, und da es um das Pilotprojekt geht, haben wir eine teilweise Defizitgarantie übernommen.

Im Ausland zeigt man viel Interesse am Zuger Krypto-Valley. Die liberale Gesetzgebung in diesem Bereich wird aber bisweilen auch als Einfallstor für kriminelle Machenschaften kritisiert. Braut sich da für die Schweiz ein neues Reputationsrisiko zusammen?

Wenn man so erfolgreich ist wie die Schweiz, vermutet man im Ausland stets, etwas sei nicht sauber. Vor kurzem wurde ich im Ausland wieder einmal auf einen alten James-Bond-Film angesprochen, in dem die Schweiz eine dubiose Rolle spielt. Solche Bilder sind noch immer in den Köpfen präsent, obwohl die Schweiz längst einen der transparentesten Finanzplätze hat. Das gilt auch für den Krypto-Bereich, wo wir dank technologieneutraler Regulierung das Geldwäschereigesetz griffig durchsetzen können.

Im Zusammenhang mit den Sanktionen gegen Russland wurden Vorwürfe laut, mit Sanktionen belegten Russen sei es möglich gewesen, ihr Geld über Krypto-Anlagen in der Schweiz in Sicherheit zu bringen.

Die Schweiz ist jenes Land, das die Sanktionen nicht nur für Bargeld und Bankkonten durchgesetzt hat, sondern sofort auch für Kryptowährungen. Während im Ausland noch darüber debattiert wurde, wie die Sanktionen interpretiert werden könnten, war bei uns die Sache längst geklärt. Die Qualität unserer Regulierung hat einen direkten Einfluss auf die Umsetzung der Sanktionen.

Das sieht man im Ausland oft anders.

Wir sind eben schlechte Verkäufer, denn wir setzen die Sanktionen sehr seriös um. Zudem muss man betonen: Global gesehen ist nur ein kleiner Teil der durch die Sanktionen betroffenen russischen Vermögenswerte in der Schweiz. Man müsste sich einmal dafür interessieren, weshalb international nicht mehr Gelder blockiert wurden.

Vor kurzem hat auch eine US-Kommission aus Regierung und Kongress, die Helsinki-Kommission, die Schweiz als Hort russischer Vermögen an den Pranger gestellt. Hat der Bundesrat reagiert?

Nein, nicht direkt. Diese Kommission gibt nicht die offizielle Haltung der US-Regierung wieder, und wir hätten gehofft, dass dies die Regierung deutlicher zum Ausdruck bringt. Meine Interpretation: Trotz den Erfahrungen mit den nachrichtenlosen Vermögen sollten wir uns nicht so rasch aus der Ruhe bringen lassen.

Die USA tragen sich auch mit dem Gedanken, russische Gelder nicht nur einzufrieren, sondern zu konfiszieren und für den Wiederaufbau der Ukraine zu verwenden.

Hier geht es um zentrale Fragen der Rechtsstaatlichkeit. In der Schweiz gibt es hierfür keine ausreichende Gesetzesgrundlage. Auch in Krisen muss man sich die grundsätzlichen Aufgaben des Staates vor Augen halten. Dazu gehört zum Beispiel der Schutz des Privateigentums. Dieser reicht vom Velodiebstahl bis hin zu Bankkonten. Wenn der Staat plötzlich beginnt, Vermögen zu konfiszieren, obwohl er keine Rechtsgrundlage hat, muss der Bürger auch damit rechnen, dass ihm bald das Haus weggenommen wird, weil es vielleicht an zu guter Lage steht. Es ist sehr gefährlich, Grundsätze staatlichen Handelns in Krisenzeiten über Bord zu werfen oder infrage zu stellen.

Auch in der Schweiz geniesst die Idee einer Konfiszierung russischer Vermögen bis in bürgerliche Kreise hinein Unterstützung.

Ja, und ich verzweifle fast daran. Die Zahl jener, die bereit sind, zentrale Werte wie Eigentumsschutz und Rechtsstaatlichkeit anzugreifen, steigt in Krisenzeiten. Derzeit beschleunigt sich das auf eine Art und Weise, die mir manchmal den Schlaf raubt.

Die Schweiz hat in der Ukraine-Krise die Sanktionspolitik der EU übernommen. Das scheint einige ausländische Kunden irritiert zu haben. Sie fragen sich, wie neutral das Land und sein Finanzplatz noch sind.

Der Bundesrat wollte nichts Grundsätzliches ändern, aber das wird leider anders wahrgenommen. Wir haben mit unserer Kommunikation offensichtlich verunsichert. Aus der Finanzbranche höre ich bis anhin aber keine Klagen. Anleger haben kaum vertrauenswürdigere Alternativen als die Schweiz. Die politische Stabilität der Schweiz steht über allem. Wichtig ist, klarzustellen, dass die Schweiz auch in Zukunft ein neutrales Land sein wird. Man sollte die Neutralität zudem nicht mit zu vielen Adjektiven relativieren.

Was halten Sie von der vorgeschlagenen Änderung des Embargogesetzes, die der Schweiz die Möglichkeit einräumen soll, eigenständig Sanktionen zu ergreifen?

Nach meinem Verständnis wäre die Schweiz nicht mehr neutral, wenn sie selbst Sanktionen ausspräche.

Zurück zum Finanzplatz. Dort gewinnt das dezentrale Finanzwesen, das ohne Vermittler wie Banken, Börsen oder Makler auskommt, an Bedeutung. Für Aussenstehende ist es oft schwierig, seriöse von unseriösen Anbietern zu unterscheiden. Ist die Regulierung gefordert?

Wir müssen zusätzliche Sicherheiten schaffen oder verstärken. Etwa bei der Tokenisierung, also der Hinterlegung von Kryptowährungen mit sichtbaren und handelbaren Werten. Kryptowährungen werden nur dann an Bedeutung gewinnen, wenn es gelingt, sie transparent und werthaltig zu gestalten.

Derzeit dienen Kryptowährungen vor allem der Spekulation.

Ja, deswegen geht es im Moment eher um den Kundenschutz als die Stabilität des Finanzsystems. Vor kurzem erklärte mir eine eher bieder wirkende Frau, sie habe ihre Stelle gekündigt, Bitcoin gekauft – und müsse nun nie mehr arbeiten. So einfach ist es natürlich nicht. Das zeigen die jüngsten Kursstürze.

Wie soll sich der Regulator verhalten, um Innovationen im Finanzbereich zuzulassen, aber auch Risiken zu begegnen?

Die Schweiz kennt für neue Finanztechnologien sogenannte «sandboxes». Man erlaubt Versuche innerhalb eines klar abgesteckten Spielfeldes und verzichtet zunächst auf Regulierungen. Auf diese Weise kann sich die Technologie schrittweise entwickeln. Wenn sie dann erfolgreich ist, folgt die Regulierung. In diese Richtung denken wir übrigens auch bei Themen wie der elektronischen Identität oder der Gesundheitskarte.

Sie haben als zweites Kernthema für den Finanzplatz die Nachhaltigkeit erwähnt. Wo sehen Sie hier einen Wettbewerbsvorteil für die Schweiz?

Auch hier kann das Netzwerk spielen. Ich denke an die grossen Versicherer, die Banken, aber auch an die Hochschulen, die sich alle mit Nachhaltigkeitsrisiken auskennen. Sie haben Erfahrung mit dem Sammeln von Daten. Denn was es dringend braucht, sind Daten zu den Ursachen und Wirkungen. Dank der Topografie hat die Schweiz viele Erfahrungen mit Umweltrisiken im Kleinen gemacht. Und noch haben wir eine umweltfreundliche Energieversorgung.

Solange man die Kernenergie dazurechnet.

Ich hoffe, dass wir vom Dogmatischen zum Pragmatischen zurückfinden. Das Netto-Null-Ziel bis 2050 ist fix, aber es gibt einen Kosten- und einen Erfolgsfaktor. Wir müssen das Ziel effizient anpeilen, sonst schaffen wir das nicht.

Und der Finanzplatz soll es richten?

Der Finanzplatz allein löst das Problem nicht, er ist nur ein Intermediär. Er sollte auch nicht zu dogmatisch vorgehen. Zum Beispiel wird die Welt noch einige Zeit Erdöl und auch etwas Kohle brauchen. Ich mache oft runde Tische zwischen allen Akteuren. Erstens lerne ich so am meisten darüber, wie man eine Wirkung erzielen kann und was man besser nicht macht. Und zweitens lernen sich die Leute besser kennen. Wir haben nach wie vor viel isoliertes Wissen, das besser zugänglich gemacht werden sollte.

Apropos Wissen: Viele Unternehmen wissen bei der Nachhaltigkeit gar nicht mehr, was für Daten sie bereitstellen müssen. Sollte der Regulator hier Klarheit schaffen, oder erledigt das der Wettbewerb?

Wir erarbeiten derzeit mit der Branche ein Gütesiegel, die Swiss Climate Scores. Wichtig sind Freiwilligkeit, vergleichbare Standards und Transparenz. Der Bereich der Nachhaltigkeit entwickelt und verändert sich so rasant, dass man mit einer langwierigen Gesetzgebung immer hinterherhinkt.

Sie sehen auch keine Notwendigkeit für ein Gesetz gegen Greenwashing?

Wir stehen ganz am Anfang einer Entwicklung, bei der noch sehr viel ungewiss ist. Es herrscht eine enorme Dynamik, und die Wirtschaft ist der Politik in den meisten Bereichen voraus.

Wie meinen Sie das?

Kürzlich war ich bei Nestlé. Die haben vor sieben Jahren begonnen, umweltfreundliche Verpackungen zu entwickeln, und beschäftigen dazu 200 Ingenieure und Forscher. Drei, vier Jahre später kam die Politik und wollte sich um Verpackungen kümmern. Nachhaltigkeit lebt von Innovationen, von technischen Neuerungen, guten Ideen. Wir sollten die Wirtschaft ermuntern, Lösungen zu entwickeln. Der Staat muss hierfür die Rahmenbedingungen schaffen.

Sehen Sie das auch so, wenn es um Cybersicherheit geht, oder muss da der Staat eine grössere Rolle spielen?

Da kann der Staat als Koordinator und Moderator agieren. Es braucht eine Meldepflicht bei grösseren Fällen. Wir haben eine Lösung mit der Finanzbranche gesucht und gefunden. Diese hat den Verein Swiss Financial Sector Cyber Security Centre gegründet, bei dem nebst Banken, Versicherungen und der Börse auch die Nationalbank und der Bund beteiligt sind. Auch dort ist der schnelle Austausch das Wichtigste. Der Bund kann zudem die internationale Kooperation koordinieren.

Geplant ist auch ein Bundesamt für Cybersicherheit.

Ja, das wird es auf Anfang 2023 geben. Es geht darum, die derzeit in der ganzen Verwaltung verstreuten Spezialisten zusammenzubringen. Das Bundesamt soll zu dem Ort werden, wo vieles zusammenläuft, um die Cybersicherheit beim Bund und in den Kantonen und Gemeinden zu optimieren. Mit einer Schnittstelle zur Privatwirtschaft, wobei sich diese selber organisieren muss. Der Staat ist nicht verantwortlich für die Cybersicherheit von Unternehmen, er kann nur den Austausch unterstützen, Daten sammeln, verifizieren und zur Verfügung stellen.

Strittig ist, wo das neue Bundesamt angesiedelt sein wird.

Viele sind am Cyber-Thema interessiert. Ich will das Bundesamt nicht unbedingt, aber es wäre wohl am naheliegendsten, es dem Finanzdepartement anzugliedern. Wir sind ein Querschnittsdepartement mit etablierten Beziehungen zur Wirtschaft.

Der Bundesrat hat Ende 2020 in einem Bericht zum Finanzplatz moniert, das regelbasierte System werde international zunehmend von einem machtbasierten abgelöst. Was heisst das für die Schweiz?

Grossen Trends können wir uns nicht entziehen. Wir müssen versuchen, in den Organisationen, die sich damit befassen, mitzuarbeiten und die Grundwerte einer liberalen Wirtschaftsordnung hochzuhalten. Vor allem in der Zusammenarbeit mit anderen Kleinstaaten können wir viel erreichen. Dass der Mindeststeuersatz bei der globalen Unternehmenssteuerreform heute bei 15 Prozent ist, und zwar ohne das Wort «mindestens», ist dem geschlossenen Auftreten der kleinen, innovativen und investitionsstarken Volkswirtschaften zu verdanken.

Das Point-Zero-Forum organisieren Sie mit Singapur. Wie steht es um das Projekt mit dem anderen wichtigen Wettbewerber, also um das Finanzdienstleistungsabkommen mit Grossbritannien?

Wir arbeiten auf Hochtouren daran. Ich gehe davon aus, dass wir Ende Jahr etwas Unterschriftsreifes vorliegen haben. Der Teufel steckt wie immer in den Details, mit denen sich nun auch die Finma und die britische Finanzaufsichtsbehörde auseinandersetzen. Wir müssen ausgewogene Lösungen finden, aber das Projekt ist gut unterwegs, und ich bin in regelmässigem Austausch mit dem britischen Finanzminister.

Was erhoffen Sie sich davon?

Die Sicherung eines deutlich besseren gegenseitigen Marktzutritts auf der Basis der gegenseitigen Anerkennung der Gleichwertigkeit unserer Finanzmarktregulierung. Wenn das gelingt, könnte das weltweit zu einem Beispiel werden, wie man in offenen Märkten ohne völlige Regelharmonisierung zusammenarbeiten kann.

Das Point-Zero-Forum

tf. Von Dienstag bis Donnerstag dieser Woche findet in Zürich erstmals das Point-Zero-Forum statt. Der Anlass wird vom Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) zusammen mit dem singapurischen Staat organisiert. Im Fokus stehen neue Finanztechnologien wie insbesondere die Tokenisierung sowie das Thema der Nachhaltigkeit. Das hochkarätig besetzte Forum bringt Investoren, Firmengründer, Bankenvertreter, Regulatoren und politische Entscheidungsträger zusammen, um gemeinsam über Fragen der zukünftigen Finanzordnung zu debattieren.