Sammlung Gegenwartskunst

Über den Wert der Zeit
Neupräsentation der Sammlung für Gegenwartskunst

Die Samm­lung des Mu­se­um Lud­wig um­fasst die wichtig­sten Po­si­tio­nen der Kunst des 20. Jahrhun­derts und der Ge­gen­wart­skunst. Die Werke der Klas­sischen Mod­erne und der Kunst nach 1945 bis 1970 sind chro­nol­o­gisch vom oberen zum mittleren Stock­w­erk ge­ord­net. Die Ge­gen­wart­skunst im Trep­pen­haus­bereich und im Un­terges­choss bildet das Rück­grat und Fun­da­ment des Haus­es, von der in die Ver­gan­gen­heit und in die Zukunft ge­blickt wird. Dabei ver­mit­telt die Samm­lung die vielfälti­gen me­dialen und konzeptuellen Er­schei­n­ungs­for­men der Ge­gen­wart­skunst, die keinem fest­ge­fügten Kanon fol­gen und sich nicht in Stil­rich­tun­gen ei­nord­nen lassen.

Alle zwei Jahre zeigt das Mu­se­um Lud­wig Ge­gen­wart­skunst aus sein­er Samm­lung in ein­er neuen Präsen­ta­tion. Die­s­es Mal - Laufzeit: 10. Au­gust 2023 bis 31. Au­gust 2025 - wird der Blick auf ver­schie­dene Ver­ständ­nisse von Zeit ge­lenkt und da­rauf, in welch­er Form Kün­stler*in­nen das The­ma in ihren Ar­beit­en auf­greifen. Viele Kün­stler*in­nen machen mit ihren Ar­beit­en da­rauf aufmerk­sam, dass Kunst in der Ge­gen­wart er­fahren wird. Zu­gleich wer­den Erin­nerung, Gedächt­nis und Geschichtsschrei­bung be­fragt. Die Klam­mer der Präsen­ta­tion bildet die Vorstel­lung vom „Wert der Zeit“ – einem ge­sellschaftlich bes­timmten Wert, dem die ab­s­trakte, mess­bare Zeit zu­grunde liegt.

Aus­gangspunkt ist Wal­ter Ben­jamins ein­dringlich­es Bild des „En­gels der Geschichte“, mit dem er 1940 das Ver­hält­nis von Ver­gan­gen­heit, Ge­gen­wart und Zukunft darstellte. Ben­jamin ent­warf damit das Denk­bild für eine kri­tische Geschichtsschrei­bung, die von den ökonomischen Be­din­gun­gen aus­ge­ht. Es fin­d­et sich in ver­schie­de­nen Facet­ten in den aus­gestell­ten Werken wied­er. In ih­nen kommt Zeitlichkeit zum Tra­gen, Ver­gan­genes wird im Ver­hält­nis zum Ge­gen­wärti­gen re­flek­tiert oder Zukünftiges an­tizipiert.

Ge­gen den Glauben an eine kont­inuier­lich fortschrei­t­ende En­twick­lung set­zt zum Beispiel Guan Xiao (*1983 in Chongqing, Chi­na) in ihr­er In­s­tal­la­tion The Doc­u­men­tary: Geo­cen­tric Punc­ture von 2014 die Zeit­wahrneh­mung des In­ter­nets, in der Ver­gan­gen­heit ge­gen­wärtig er­scheint. In die­sem Sinne ist auch der Ti­tel „Geozen­trische Wun­de“ zu ver­ste­hen. Ein ve­r­al­tetes Welt­bild, nach dem die Sonne um die Erde kreist, lebt im 21. Jahrhun­dert in der Vorstel­lung fort, dass der Men­sch das Zen­trum der Welt bilde.

Haegue Yang (*1971 in Seoul, Süd­ko­rea) wiederum nimmt in Moun­tains of En­coun­ter von 2008 ein ver­bor­gen ge­bliebenes his­torisch­es Ereig­nis, das Zusam­men­tr­ef­fen des ko­re­anischen Un­ab­hängigkeit­skämpfers Kim San mit der US-amerikanischen Jour­nal­istin Nym Wales (alias Helen Fos­ter Snow), das Teil wel­tums­pan­nen­der Prozesse war, zum An­lass für eine raum­greifende und die Be­such­er*in­nen ein­bezie­hende In­s­tal­la­tion.

Die ab­s­trakte, mess­bare Zeit wird in weit­eren Werken the­ma­tisiert. Sie bes­timmt den Waren­w­ert der Ar­beit­skraft und or­gan­isiert ge­sellschaftliche Zeit. Eine Rei­he von Kün­stler*in­nen beschäftigt sich mit dies­er Frage. Zu ih­nen ge­hört Harun Faroc­ki, der in sein­er Videoin­s­tal­la­tion Ge­gen-Musik von 2004 nach dem Vor­bild der Filme­mach­er Dzi­ga Ver­tov und Wal­ter Rutt­mann ein Porträt der franzö­sischen Tex­til­s­tadt Lille zeigt, nun aber als Mon­tage von vorge­fun­de­nen, op­er­a­tiv­en Bildern, die laut Faroc­ki die Stadt „eben­so ra­tio­n­al­isiert und geregelt wie ein Pro­duk­tion­sprozess“ zei­gen. Der Wert der Zeit ver­weist auf die Ökonomien der Zeit.

Die Präsen­ta­tion Über den Wert der Zeit stellt Kunst der Ge­gen­wart aus den let­zten zwanzig Jahren vor. Ex­em­plarisch sind vi­er weitere Ar­beit­en aus den 1960er und 1980er Jahren ein­be­zo­gen. Die me­diale Vielfältigkeit ist in den Mit­telpunkt gestellt. Kurze Texte führen in die einzel­nen Werke ein. Darüber hi­naus ist die Präsen­ta­tion um Zi­tate von den Kün­stler*in­nen sowie von Wal­ter Ben­jamin und seinem Zeitgenossen, dem Philo­sophen und Ökono­men Al­fred Sohn-Rethel, ergänzt.

Vertretene Kün­stler*in­nen: Tho­mas Bayr­le, Alighiero Boet­ti, Frank Bowl­ing, Miri­am Cahn, Mark Dion, Maria Eich­horn, Harun Faroc­ki, Guan Xiao, Wade Guy­ton, Lubai­na Himid, Ull Hohn, Re­bec­ca Horn, Anne Imhof, Boaz Kaiz­man, Car­o­lyn Lazard, Jochen Lem­pert, Pau­line Mʼbarek, Ker­ry James Mar­shall, Park McArthur, Os­car Muril­lo, Fü­sun Onur, Asim­i­na Paradis­sa, Robert Rauschen­berg, Cameron Row­land, Ju­lia Sch­er, An­dreas Schulze, An­dreas Siek­mann, Di­a­mond Stingi­ly, Danh Vo, Lois Wein­berg­er, Haegue Yang

Ku­ra­torin:
Bar­bara En­gel­bach

Die Ne­upräsen­ta­tion wird ge­fördert durch die Ge­sellschaft für Mod­erne Kunst am Mu­se­um Lud­wig. e.V. und die In­ter­na­tio­n­al So­ci­e­ty Mu­se­um Lud­wig.