JUVE Steuermarkt: Die Universität Hamburg steht derzeit ohne ordentliche Professur im Steuerrecht da. Wie bewerten Sie die Diskussionen um den möglichen personellen Wiederaufbau des Interdisziplinären Zentrums für Internationales Finanz- und Steuerwesen (IIFS) an der Uni?
Prof. Birgit Weitemeyer: Dass an der Universität Hamburg die steuerrechtlichen Kollegen immer weniger geworden sind, und es dort Schwierigkeiten gab, die Stellen angemessen und zeitnah zu besetzen, bedauert die gesamte Hamburger Steuerszene, einschließlich meiner Person und der Kollegen Ulrich Hufeld und Bert Kaminski von der Helmut-Schmidt-Universität (HSU). Das ist einer großen staatlichen Universität in einer Stadt mit einem großen Bedarf an Steuerrechtlern nicht angemessen.
An der Bucerius Law School (BLS) kann man Steuerrecht als Schwerpunktbereich belegen, allerdings sind Sie die einzige Professorin. Warum ist Ihre Hochschule nicht in die Lücke gestoßen, die die staatliche Konkurrenz seit einiger Zeit bietet, und hat Ihren Lehrstuhl aufgestockt?
Den Vorschlag machen Sie gerne mal meiner Hochschulleitung! Allerdings hatten wir zunächst andere Bereiche, die wir aufstocken mussten. So haben wir beschlossen, das Medizinrecht und Grundlagenfächer weiter zu stärken und die Digitalisierung nach vorne zu bringen. Alles gute und sinnvolle Ergänzungen. Dabei spielten zum Teil auch Anforderungen des Wissenschaftsrats eine Rolle. Gleichzeitig sind wir dabei, das Steuerrecht anzupacken. Es besteht daran auch seitens der Hochschulleitung ein Interesse. Nur: Wir sind eine private Hochschule. Das heißt, wir finanzieren uns über die sehr großzügigen Zuwendungen der ZEIT-Stiftung, aber auch durch Studiengebühren und Sponsoren und können nicht wegen eines neuen Lehrstuhls für Steuerrecht – wie sinnvoll der auch ist – die Studiengebühren erhöhen.
Und ad hoc kann man nichts tun?
Ich habe immerhin mit Götz Wiese (Anm. der Redaktion: früherer Steuerrechts-Leiter von Latham & Watkins, heute selbständig in der Kanzlei Wiese Lukas und Mitglied der Hamburger Bürgerschaft) einen sehr rührigen Honorarprofessor, der hier sehr große Teile übernimmt, und wir profitieren von hochkarätigen Lehrbeauftragten. Dieser Theorie-Praxis-Mix wird besonders geschätzt. Und ich habe demnächst einen Habilitanten, der mich zukünftig noch mehr unterstützen wird als bisher schon. Aber in der Tat könnten wir noch eine junge Kollegin oder einen jungen Kollegen, möglicherweise mit einer Juniorprofessur mit bestimmten Schwerpunkten – zum Beispiel internationales Steuerrecht oder Digitalisierung – sehr gut gebrauchen. Ich selbst habe ja Schwerpunkte im Personengesellschaftssteuer- und im Gemeinnützigkeitsrecht. Und allein das sind schon Bereiche, die in Deutschland nicht allzu viele Leute bespielen.
Sie haben eben die Anforderungen des Wissenschaftsrats angesprochen. Welchen Einfluss hat dieses Gremium?
Der Wissenschaftsrat schreibt nichts vor, die Hochschule hat eine hohe Autonomie bei der Einrichtung von Lehrstühlen. Aber der Rat sieht gewisse Disziplinen wissenschaftlicher an als andere. Eine Empfehlung aus unserer letzten Akkreditierung war, Fächer wie Grundlagen des Recht, Rechtstheorie oder Rechtsphilosophie zu stärken. Und das haben wir getan.
Sie sind zwar die einzige Steuerrechtsprofessorin an der BLS, nehmen aber für sich in Anspruch, mehr auszubilden als andere Unis. Wie viele Studierende im Steuerrecht haben Sie jährlich? Und haben Sie Vergleichswerte über die Zahlen der Absolventinnen und Absolventen an anderen norddeutschen Universitäten?
Selbstverständlich versuchen wir, viele Studierende für das Steuerrecht zu begeistern. Im Vordergrund steht aber, ein gutes fachliches Angebot zu machen. Die Absolventenzahlen der anderen Hochschulen müssten Sie mal eruieren. Wie viele es zu den Hochzeiten der IIFS waren, als dort noch drei Professoren tätig waren, weiß ich nicht. Für Kiel habe ich nur eine Zahl für das Jahr 2017. Da lag die Absolventenzahl bei acht. Wir haben durchschnittlich 12 bis 18 im Jahr. Bei rund 100 Studierenden an der BLS pro Jahrgang, die zwischen acht Schwerpunktbereichen wählen können, ist das eine ordentliche Quote. Wir zählen zu einem der beliebtesten Schwerpunkte. Und wir führen die Studierenden auch zu sehr erfolgreichen Abschlüssen.
Profitieren Sie vielleicht sogar von der desolaten Situation an der staatlichen Uni? Denn Sie können als private Universität Cherry Picking betreiben: Sie holen sich die allerbesten Bewerberinnen und Bewerber und werden zur Kaderschmiede des Steuerrechts in Norddeutschland, während rundherum die Steuerrechtslehre ausstirbt.
So sehe ich das nicht. Und so sieht das sonst auch niemand. Dafür ist der Bedarf im Steuerrecht viel zu groß. Wir versuchen, viele Steuerrechtler auf hohem Niveau auszubilden. Und da bedarf es schon noch ein paar mehr Mitstreitern als meine Wenigkeit.
Es hat sich eine Initiative von Hamburger Steuerberatungsgesellschaften und Anwaltskanzleien gebildet, um wenigstens eine Juniorprofessur an der Universität zu finanzieren. Erwächst hier eine private Konkurrenz unter dem Deckmantel des Staates?
Wenn das gelingt, finde ich das gut. Man muss zwar nicht wenig dafür aufbringen. Aber wenn sich das auf vielen Schultern verteilt, mag das funktionieren. Wichtig ist bei der Hochschulfinanzierung, dass keine Einflussnahme von irgendwelchen privaten Finanziers stattfindet. Diese Gefahr besteht bei uns nicht – und wir sind ja auch zu 100 Prozent privat finanziert – und wird wohl auch anderswo nicht bestehen. Wir sollten vielmehr private Fördermöglichkeiten nicht auf der Straße liegen lassen, sondern in den wichtigsten Rohstoff investieren, den wir in Deutschland haben: die Bildung unserer jungen Leute.
Apropos junge Leute. Wenn es an der Bucerius Law School keinen Platz gäbe und Sie Ihren Kindern raten müssten, irgendwo in der Republik Steuerrecht zu studieren: Welche Einrichtung würden Sie empfehlen?
Das kann ich so pauschal nicht beantworten. Es kommt auf das Interesse an. Hat man mehr Interesse an Steuerrecht in Verbindung mit dem Zivilrecht – also die Flume-Schule, für die heute etwa Professor Hüttemann in Bonn oder Professor Schön in München stehen – oder an Steuerrecht in Kombination mit öffentlichem und Verfassungsrecht? Das wäre dann die Tradition, die Tipke und Lang in Köln begründet haben. Und wenn man das entschieden hat – soweit man das als Studienanfänger überhaupt schon entscheiden kann –, sollte man sich überlegen, ob man auf eine große Uni oder eine kleine Uni gehen will. In der großen besteht vielleicht die Gefahr, ein bisschen unterzugehen, auf der anderen Seite hat man viele Möglichkeiten. In kleineren Einrichtungen kann man dafür vielleicht etwas enger betreut werden.
Verbinden Sie an der BLS Steuerrecht eher mit dem Zivilrecht oder mit dem öffentlichen Recht?
Ich bin Zivilrechtlerin durch und durch. Das heißt, ich lehre auch Sachenrecht und habe bis vor kurzer Zeit auch das Gesellschaftsrecht vertreten. Das macht Sinn, denn viele Tatbestände im Steuerrecht sind gesellschaftsrechtlicher und generell zivilrechtlicher Natur. Gleichwohl müssen wir Zivilrechtler mit einem Auge auch immer aufs Verfassungsrecht schauen, denn Steuerrecht ist als Eingriffsrecht verfassungsrechtlich vordeterminiert.
Eine private Hochschule wie Ihre, die als Kaderschmiede für die Wirtschaft gilt, muss wahrscheinlich eher zivilrechtlich ausgerichtet sein.
Nein, dieses Leitbild haben wir nicht. Nicht wenige Absolventen sind in mittelständischen Kanzleien, in der Justiz und im Bundesfinanzministerium tätig. Mein bester Doktorand hat jüngst an einer Arbeit geschrieben, die primär verfassungsrechtlich ausgerichtet war, und zwar zum Vertrauensschutz und rückwirkenden Gesetzen. Dafür hat er zweimal ein Summa bekommen, einmal von mir und einmal von dem Verfassungsrechtler Ulrich Hufeld von der HSU. Und die Arbeit ist inzwischen mehrfach ausgezeichnet worden. Wir versuchen also, wirklich alles im Blick zu haben.
Das Gespräch führte Jörn Poppelbaum.