Fall Maddie exklusiv: Der wichtigste Zeuge

In BILD spricht erstmals Helge B.

Quelle: BILD
Von: KAI FELDHAUS und CHRISTIAN SPREITZ (Fotos)
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Praia da Luz (Portugal) – Er ist der Mann, mit dem alles begann.

▶︎ Dass es mehr als 12 Jahre nach Madeleine McCanns Verschwinden plötzlich einen Verdächtigen gibt.

▶︎ Dass dieser Verdächtige vor Gericht landete, wegen der Vergewaltigung einer Amerikanerin (72) zu sieben Jahren Haft verurteilt wurde.

▶︎ Dass Staatsanwaltschaft und BKA sicher sind, mit Christian Brückner (46) den Entführer der kleinen Maddie gefasst zu haben. All das geht auf die Aussage eines Mannes zurück.

Die Aussage von Helge B. (52).

Seit Jahren schirmt das BKA den Ex-Weggefährten Brückners ab, versteckt ihn an verschiedenen Orten in Europa. Nie hat sich Helge B. öffentlich geäußert. Bis jetzt.

BILD traf ihn weltexklusiv zum ersten Interview an einem geheimen Ort in Südeuropa. Helge B. hat viel zu erzählen:

- Wie Brückner ihm die Tat aus Versehen gestand.

- Wann er erstmals die Polizei alarmierte.

- Und warum er es aus heutiger Sicht lieber nicht getan hätte.

„Ich habe nicht damit gerechnet, welche Dimensionen das alles annimmt“, sagt Helge B. nach fast zwei Stunden Gespräch. „Es hat mein Leben ruiniert.“

Maddie McCann verschwand am 3. Mai 2007

Maddie McCann verschwand am 3. Mai 2007

Foto: Pa/dpa

Das erste Treffen mit Brückner

Helge B.: „Das war auf dem Parkplatz vor einer Kneipe in Portugal. Meine Freunde Micha und Manni haben mir Christian vorgestellt. Er hatte ihnen bei einer Panne geholfen, das fand ich gut.

Der erste Eindruck: ein netter Kerl, sympathisch, umgänglich.

Ich hatte gehört, dass er in Hotels einsteigt, ein guter Kletterer ist, über die Balkone reingeht. Wir haben uns dann öfter gesehen. Ich hatte nie das Gefühl, dass mit dem was nicht stimmt. Als ich dahinterkam, was der wirklich macht, hat es mir die Sprache verschlagen.“

Christian Brückner (46) gilt als tatverdächtig

Christian Brückner (46) gilt als tatverdächtig

Foto: ROPI

Der Diebstahl

Helge B.: „Ich hatte gehört, dass Micha und Christian in Haft sind. Es stand in der Zeitung: Zwei Deutsche verhaftet. Manni sagte: Ich weiß, wo der Brückner wohnt, der hat da noch 1000 Liter Diesel stehen. Lass uns die mitnehmen. Wir sind hingefahren und haben uns ein paar Kanister abgezapft. Die Haustür stand offen, da sind wir halt rein. Wir haben die Wohnung durchsucht, eine Videokamera, einen Haufen Filme und eine Pistole mitgenommen.

Wir sind dann zu meinem Haus, da hatte ich einen großen Fernseher, da habe ich die ersten Videos gesehen. Touristenscheiß, dachte ich. Bis ich auf das Video von der älteren Dame gestoßen bin.

Ich dachte erst: Das ist ein Spielfilm! Es war zu sehen, wie jemand die Frau ausgepeitscht hat. Sie war gefesselt, lag auf dem Bett, war bestimmt 70, 80 Jahre alt. Sie hatte eine angemalte Taucherbrille auf, konnte nichts sehen. Sie sprach Englisch, rief: You fucking bastard! Am Ende des Videos hat er sich aufs Bett gesetzt und die Maske runtergezogen. Da habe ich gesehen, dass das der Brückner ist.

In dieser Finca in Praia da Luz lebte der Verdächtige

In dieser Finca in Praia da Luz lebte der Verdächtige

Foto: BKA

Ich konnte das gar nicht glauben. Ich hab dem Manni gesagt: Komm mal her, guck dir mal an, was da los ist.

Der hat zwei Minuten geguckt und gesagt: Davon will ich nix wissen. Ich habe gesagt: Manni, das ist der Brückner! Ich hab’s gesehen, der hat sich die Maske abgezogen! Auf einer anderen Kassette war das Video mit der alten Dame aus anderer Position, und noch ein Film mit einem jüngeren Mädchen, 13, 14 Jahre alt. Sie war nackt an einen Balken gefesselt. Brückner saß dahinter auf dem Sofa und hat sich über sie lustig gemacht. Sie sagte: Das grenzt an Vergewaltigung! Und er nur: Halt dein Maul. Da wusste ich, was der Brückner für ein Typ ist.

Ich habe mit einem mir bekannten Polizisten in Deutschland gesprochen. Der sagte: Helge, lass die Finger davon. Ein Anwalt hat mir das Gleiche gesagt. Ich war halt unsicher, was mir passieren kann – ich hätte mich ja selbst belastet!

Die Waffe hat der Manni in einen Stausee geschmissen, die Kamera habe ich verkauft. Als ich Portugal später verlassen habe, habe ich die Videos in meinem Wohnwagen gelassen. Wo die abgeblieben sind, ist unklar.“

Karte/Grafik: Der Fall Maddie – Infografik

Das „Geständnis“

Helge B.: „Christian wusste nicht, dass wir bei ihm eingestiegen sind. Seine Wohnung war in der Zwischenzeit aufgelöst worden. Wir haben uns dann das nächste Mal 2008 auf dem Dragon-Festival in Orgiva gesehen.

Ich saß in meinem Mercedes, sah ihn im Rückspiegel. Er hat sich zu uns gesellt, wir haben uns unterhalten. Das war schwierig für mich – ich wusste ja, was der getan hat, dass der Typ brandgefährlich ist.

Er hat mich gefragt: Fährst du nicht mehr nach Portugal und machst da Business? Nein, hab ich gesagt, seit das Mädchen dort verschwunden ist, sind mir da zu viele Polizeikontrollen und das brauche ich ja nun gar nicht. Wir sind auf Maddie gekommen und ich habe gesagt: Ich verstehe sowieso nicht, wie die Kleine so spurlos verschwinden konnte.

Der Christian hatte zwei, drei Bier getrunken und hat daraufhin gesagt: Sie hat ja nicht geschrien.

Ich habe sofort gecheckt, was der da gesagt hat. Ich dachte: Der weiß das. Der hat damit zu tun. Ich kannte seine Vorgeschichte von den Videos, und dann haute der so einen raus. Da wurde mir ganz elend. Die anderen haben das gar nicht so begriffen.

Er hat aber auch gecheckt, dass ich das verstanden habe, und ist darauf nachts abgehauen. Um 3, 4 Uhr morgens ist der von einem vollbesuchten Festival abgehauen mit seinem Wohnmobil. Ich habe den am nächsten Morgen gesucht, seine Nachbarn sagten: Der ist weg.“

Spektakuläre VerbrechenDer Fall Maddie McCann

Quelle: BILD

Die Aussage

Helge B.: „Ich habe schon 2008 Scotland Yard angerufen. Unter der Maddie-Hotline. Ich habe gesagt, dass ich jemanden kenne, der damit wohl was zu tun hat und denen den Namen gegeben. Die haben meine Personalien aufgenommen, meine Telefonnummer. Aber da ist halt nix passiert. Nichts! Man hat mich nie zurückgerufen. Ich habe gedacht: Naja, die werden sich schon kümmern.

2017 hatte ich in Griechenland gerade eine Haftstrafe abgesessen. Als ich vom 10. Jahrestag des Verschwindens hörte, da fiel mir wieder ein: Der Anruf hat anscheinend gar nix genutzt. Da habe ich Scotland Yard nochmal kontaktiert.

Da hat man mir dann mal zugehört.

Es kam zu einem ersten Treffen mit zwei Beamten in einem Hotel in Athen. Ich bin dann nach London geflogen und habe dort meine Aussage zu Protokoll gegeben. Ich habe dafür niemals Geld bekommen. Nicht einen Pfennig. Ich habe meine Haftzeit mit der Aussage auch nicht verkürzt. Ich habe Scotland Yard erst danach kontaktiert.

2018 meldete sich das BKA: Man benötige mich als Zeugen, weil Christian wegen der Vergewaltigung der älteren Dame von den Videos vor Gericht gestellt werden sollte. Wir haben uns dann 2019 vor Gericht gesehen. Mich hat diese ganze Situation ganz schön mitgenommen. Als ich ihn sah, dachte ich: Der ist ein Schwein. Der sitzt hier nicht ohne Grund.“

Am 4 Juni 2020 informierte Staatsanwalt Hans Christian Wolters die Öffentlichkeit: Im Fall Maddie gebe es einen Verdächtgen

Am 4. Juni 2020 informierte Staatsanwalt Hans Christian Wolters die Öffentlichkeit: Im Fall Maddie gebe es einen Verdächtigen

Foto: dpa

Sein zerstörtes Leben

Helge B.: „Ich habe nicht damit gerechnet, welche Dimensionen das alles annimmt. Ich glaube, ich würde es nicht noch einmal machen, wenn ich das gewusst hätte. Es hat mein Leben ruiniert.

Ich lebte auf Korsika, war glücklich, hatte Arbeit und keine Sorgen. Das war dann auf einmal alles weg. Da standen Reporter vor meiner Tür, auf der Arbeit, haben meine Nachbarn befragt. Die fragten mich dann: Wieso kennst du so einen Typen? Da hat mich meine Vergangenheit eingeholt. Der Spießrutenlauf ging los. Das BKA hat sich gemeldet: Du musst da weg, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Seitdem bin ich auf der Flucht. Spaß macht das nicht. Ich sehne mich nach meinem alten Leben zurück, aber das ist nicht mehr möglich.“

Aus diesem Apartment verschwand Maddie – Infografik

Seine Theorie zu Maddies Verschwinden

Helge B.: „Natürlich gilt Christian als unschuldig, bis das Gegenteil bewiesen ist. Meine Theorie ist, dass er einen Einbruch vorhatte. Dass der schiefgegangen ist und er die Kinder im Apartment gefunden hat. Und dass er Maddie dann mitgenommen hat. Das war wahrscheinlich gar nicht geplant.

Nach allem, was ich über ihn weiß, traue ich ihm so eine Tat auf jeden Fall zu. Ich glaube, dass er sie entführt hat. Ob er sie am Ende umgebracht hat, weiß ich nicht.“

Der Zeuge im Gespräch mit BILD-Reporter Kai Feldhaus (r.)

Der Zeuge im Gespräch mit BILD-Reporter Kai Feldhaus (r.)

Foto: Christian Spreitz

Warum er jetzt auspackt

Helge B.: „Das muss alles auch mal ein Ende haben. Es werden so viele Lügen über mich verbreitet, und ich kann dagegen nichts machen. Ich bin hilflos. Ich habe mich doch bemüht, etwas zu unternehmen! Ich habe Scotland Yard schon 2008 kontaktiert! Warum sollte ich so etwas erfinden? Das kann man sich doch nicht ausdenken! Dann wäre ich ein noch besserer Lügner als Münchhausen! Ich habe auch von Anfang an gesagt: Die Belohnung möchte ich nicht haben. Sollen sie das Geld doch spenden. Da kann man bessere Sachen mit machen. Ich brauche das Geld nicht.

Im Nachhinein war es der größte Fehler meines Lebens, dass ich diese Videos mitgenommen habe. Ich hätte davon lieber nix gewusst. Ich bin auch nicht stolz darauf, dass ich diese Ermittlungen ausgelöst habe. Mir geht es nicht gut. Ich habe zugenommen, habe Phasen, in denen ich durchdrehe, nächtelang nicht schlafe.

Ich bin immer auf der Flucht, habe kein Zuhause, bin immer auf der Hut, wem ich was sage. Freunde habe ich keine mehr. Mein letzter Freund ist im Oktober auf Korsika gestorben – und ich durfte nicht mal zur Beerdigung. So traurig sieht mein Leben aus.

Ich würde mir wünschen, dass endlich Ruhe ist. Für mich ist klar, dass Maddie nicht mehr lebt. So traurig das sein mag – es wäre besser, wenn man ihre Leiche findet. Ich habe Sorgen, dass Brückner damit durchkommt.“

Familie McCann kurz vor Maddies Verschwinden

Familie McCann kurz vor Maddies (u.r.) Verschwinden

Foto: Mike Gibbons/Spindrift

Sein Appell an Brückner

Helge B.: „Christian, ich hoffe, dass du nicht mit dieser Geschichte davonkommst. Mit dem, was du getan hast. Du leugnest, dass es diese Videos gibt. Diese Videos gab es. Leider sind sie verschollen. Aber ich habe sie gesehen.“

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