Bestenlisten-Plakat Mai
ORF

Die besten 10 im Mai 2022

Die Jury hat aus den unzähligen Neuerscheinungen ihre Lieblingsbücher gewählt.

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Heimweh nach dem Tod
Rowohlt

1. Imre Kertész (19 Punkte) NEU

Heimweh nach dem Tod“, Rowohlt
Übersetzung: Ingrid Krüger, Pál Kelemen

Imre Kertészs „Roman eines Schicksallosen“ gilt nicht nur als einer bedeutendsten Romane des 20. Jahrhunderts, er zählt auch zu den wichtigsten literarischen Zeugnissen der Shoah. Mit 14 Jahren auf Grund seiner jüdischen Herkunft nach Auschwitz deportiert, hat Kertész darin seine Erfahrung des Konzentrationslagers verarbeitet. Vor kurzem sind im Nachlass des 2016 verstorbenen Literaturnobelpreisträgers bislang unbekannte Arbeitstagebücher aufgetaucht, die den Entstehungsprozess des Romans dokumentieren und nun unter dem Titel „Heimweh nach dem Tod“ veröffentlicht wurden. 14 Jahre hat Kertész an „Roman eines Schicksallosen“ gearbeitet. Die Tagebücher zeigen, wie gewissenhaft der Schriftsteller sein Schreiben über das Lager reflektiert hat und geben tiefe Einblicke in die philosophischen Denkprozesse, die diese Arbeit begleitet haben.


Wilderer
S. Fischer

2. Reinhard Kaiser-Mühlecker (18 Punkte)

„Wilderer“, S. Fischer                 

Reinhard Kaiser-Mühlecker ist ein vom Feuilleton viel beachteter Autor - und Bauer. Fernab von Hochglanzromantik und Heimattümelei bildet auch das bäuerliche Milieu die Kulisse seiner Bücher. Die Welt im neuen Roman ist lieblos, rau und wild. Die meisten Bauern sind Nebenerwerbsbauern, der Klimawandel schmälert den Profit. Der Held ist ein junger Landwirt, der seine Wut nicht im Griff hat und der nie ganz Kind sein durfte, weil es die familiäre Situation des bäuerlichen Lebens nicht zugelassen hat. Mit großer Erzählkunst gelingt es dem 1982 geborenen Autor die Spannung zu halten, vieles bleibt unausgesprochen, nichts ist eindeutig. Worte finden, wo es keine Sprache gibt - das ist das Ansinnen Kaiser-Mühleckers. „Wilderer“ ist ein hervorragender Roman, in dem die Menschen die titelgebenden Wilderer sind, die im Leben der anderen wildern.

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Man kann Müttern nicht trauen
dtv

3. ex aequo: Andrea Roedig (17 Punkte) NEU

Man kann Müttern nicht trauen“, dtv

Die Mutter ist der große Mythos im Leben eines Menschen, sagt die in Wien lebende deutsche Autorin und Publizistin Andrea Roedig. In ihrem autobiographischen Debütroman mit dem Titel „Man kann Müttern nicht trauen“ stellt sie ihre eigene Mutter Lilo ins Zentrum. Erst nach ihrem Tod konnte sich Roedig ihrer Lebensgeschichte und der eigenen Kindheit im Düsseldorf der 1960er und 70er-Jahre widmen. Die Mutter Lilo, eine ausnehmend schöne Frau, die durch die Heirat in großbürgerliche Verhältnisse aufgestiegen war, blieb für Andrea Roedig zeitlebens unnahbar. Als die Ehe der Eltern zerbrach, verschwand die Mutter für 3 Jahre. Das Buch „Man kann Müttern nicht trauen“ ist keine Abrechnung, sondern das berührende Protokoll eines lebenslangen Annäherungsversuchs.



Divan mit Schonbezug
Wallstein

3. ex aequo: Anna Baar (17 Punkte) NEU

Divân mit Schonbezug“, Wallstein

Seit ihrem Debutroman „Die Farbe des Granatapfels“ im Jahr 2015 gilt die Schriftstellerin Anna Baar als eine der markantesten Stimmen der österreichischen Gegenwartsliteratur. Baar wurde 1973 in Zagreb im ehemaligen Jugoslawien geboren, ihre Kindheit verbrachte sie zwischen Wien, Klagenfurt und der dalmatinischen Insel Brac. Das Aufwachsen zwischen den Sprachen und den Kulturen ist eine Erfahrung, die ihr Werk von Beginn an durchzieht. Mit großer sprachlicher Sorgfalt arbeitet sich die Schriftstellerin an Begriffen wie Identität, Herkunft und Heimat ab, so auch in ihrem neuen Erzählband „Divân mit Schonbezug“. Anna Baar erzählt von der Großmutter, die im Zweiten Weltkrieg gegen die Nazis gekämpfte und sich im jugoslawischen Bürgerkrieg vor den eigenen Landsleuten im Keller verstecken musste, von Kärntner Lokalpolitikern, die sich nicht trauen, Nazis gewidmete Straßen umzubenennen. Und von den titelgebenden Divâns, die man im Iran lieber gleich in Plastikfolie einpackt, damit sie nicht schmutzig werden.

Rombo
Suhrkamp

3. ex aequo: Esther Kinsky (17 Punkte)

„Rombo“, Suhrkamp

Am Donnerstag den 6. Mai 1976, um 20:59 bebte die Erde in der Region Friaul-Julisch Venetien für eine volle Minute, die Erschütterung war bis an die slowenische und österreichische Grenze zu spüren. Das Erdbeben der Stufe 10 kostete 989 Menschen das Leben, 45.000 verloren ihre Häuser. Insgesamt 77 Gemeinden und 80.000 Menschen waren von den Schäden betroffen. In ihrem neuen Roman „Rombo“ erzählt die deutsche Schriftstellerin Esther Kinsky vom Erinnern an diese gewaltige Zerstörung. „Rombo“ heißt auf Italienisch so viel wie „Grollen“, sieben Überlebende der Katastrophe lässt die Autorin in dem gleichnamigen Roman zu Wort kommen. Die eigentliche Hauptfigur darin ist jedoch die Landschaft, denn zu den menschlichen Stimmen gesellen sich die der Steine, Pflanzen und Tiere der Region. Akribisch setzt Kinsky die vielen unterschiedlichen Perspektiven zu einem kunstvollen Mosaik zusammen.

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In den Kriegen
Hollitzer

3. ex aequo: Evelyn Schlag (17 Punkte)

„In den Kriegen“, Hollitzer                  

Thematisch kann man den neuen Roman der niederösterreichischen Autorin Evelyn Schlag getrost ein Buch der Stunde nennen. „In den Kriegen“ wurde nur wenige Wochen vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine veröffentlicht und spielt vor dem Hintergrund der 2014 ausgebrochenen Kriegshandlungen in der Ostukraine. Jahrelang hat die Autorin vor Ort für ihren Roman recherchiert und sich dabei der komplexen Geschichte der Ukraine innerhalb des europäischen Staatengefüges angenähert. Darin begeben sich zwei deutsche Söldner, ein ukrainischer Dichter und eine junge Witwe, deren Mann in einem Gefecht mit russischen Separatisten gefallen ist, auf einen Fußmarsch quer durch die Ukraine. Das Ziel: die Halbinsel Krim an der Schwarzmeerküste, denn die Witwe hat sich in den Kopf gesetzt, ihre Trauer so weit wie möglich durch das verwüstete Land zu tragen. Durch das Einziehen einer zweiten Zeitebene spiegelt die Autorin die Handlung des Romans mit dem Einmarsch Nazideutschlands in das Gebiet der heutigen Ukraine, die Reise ihrer Figuren wird so auch zu einer Reise in die Vergangenheit des Landes.

versprechen
Luchterhand

7. Damon Galgut (15 Punkte)

„Das Versprechen“, Luchterhand
Übersetzung: Thomas Mohr

Für seinen Roman „Das Versprechen“ ist der südafrikanische Schriftsteller Damon Galgut im letzten Jahr mit dem Booker Prize ausgezeichnet worden, dem renommiertesten Literaturpreis im englischsprachigen Raum. Nun liegt die deutsche Übersetzung vor. „Das Versprechen“ ist ein klassischer Familienroman, bestehend aus vier großen Kapiteln, die jeweils einem Mitglied der Swarts gewidmet sind, einer weißen Farmerfamilie aus der Nähe von Pretoria. Die zerrütteten Familienverhältnisse der Swarts verschränkt Galgut mit der jüngeren Geschichte Südafrikas, die Handlung umspannt die Jahre 1986-2018, vom Ende der Apartheid bis zum Ende der Zuma-Präsidentschaft. Gefeiert als Psychogramm der südafrikanischen Gesellschaft, besticht der Roman vor allem durch Galguts eigenwilligen Prosastil: sein Erzähler tritt immer wieder kommentierend hervor, spricht Leser als auch Figuren direkt an und verleiht dem Buch dabei Witz und Leichtfüßigkeit.

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Ferne Gestade
Penguin

8. Abdulrazak Gurnah (14 Punkte) NEU

Ferne Gestade“, Penguin
Übersetzung: Thomas Brückner

Mit der Entscheidung für Abdulrazak Gurnah hat die Schwedische Akademie bei der Vergabe des Literaturnobelpreises 2021 wie so oft für eine Überraschung gesorgt. Insbesondere im deutschsprachigen Raum war der britisch-tansanische Schriftsteller nur einschlägigen Fachkreisen ein Begriff, die wenigen deutschen Übersetzungen seiner Bücher waren vergriffen. Der Penguin-Verlag hat nun mit der Wiederauflage seines Werks begonnen, nach „Das verlorene Paradies“ ist nun „Ferne Gestade“ wieder in deutscher Übersetzung erhältlich. Im Gegensatz zu ersterem ist die Handlung von „Ferne Gestade“ nicht in Afrika, sondern im Großbritannien der Neunziger Jahre angesiedelt und kreist um zwei Geflüchtete aus Sansibar. Der eine ist bereits in den 60ern nach London gekommen und hat sich als Literaturprofessor etabliert, der andere hat gerade erst seinen Asylantrag gestellt. Verbunden sind die beiden Männer durch ein dunkles Kapitel ihrer Vergangenheit, das sie einholt, als sie sich zufällig in einem englischen Küstenort über den Weg laufen.

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an den hunden
Haymon

9. ex aequo: Christoph W. Bauer (13 Punkte)

„an den hunden erkennst du die zeiten“, Haymon

Formal ist der Schriftsteller Christoph W. Bauer ein Tausendsassa: Romane, Gedichte, Erzählungen, Dramen, Kinderbücher, Hörspiele – der Tiroler fühlt sich in gleich mehreren Gattungen zu Hause. Mit „an den hunden erkennst du die zeiten“ liegt nun sein mittlerweile siebenter Gedichtband vor. Der lyrische Kosmos des Christoph W. Bauer zeichnet sich seit jeher durch eine starke Dialogizität aus, in seinen Gedichten lädt er Leser und Leserinnen zu einem spannenden Dechiffrierspiel ein. Er streut Hinweise und Anspielungen quer durch die Literaturgeschichte, doch muss man den Fährten nicht zwangsläufig folgen, nicht alle Referenzen kennen, damit die Lektüre ein Genuss wird. Stattdessen kann man sich ganz dem virtuosen Umgang Bauers mit der Sprache hingeben, der einen ebenso zum Schmunzeln wie zum Nachdenken anregt.  

Yoga
Matthes & Seitz

9. ex aequo: Emmanuel Carrère (13 Punkte)

„Yoga“, Matthes & Seitz       
Übersetzung: Claudia Hamm              

Als Emmanuel Carrères „Yoga“ vor zwei Jahren in Frankreich erschien, schlug das Buch hohe Wogen. Nichts darin sei Fiktion, jede einzelne Zeile entspräche der Wahrheit, so der Schriftsteller, der sich in dem autobiographischen Text mit seiner bipolaren Störung auseinandergesetzt hat. Im französischen Feuilleton löste Carrère, der neben Houellebecq zu den wirkmächtigsten zeitgenössischen Autoren der Landes zählt, eine hitzige Debatte über das Verhältnis von Realität und Literatur aus – nicht zuletzt, weil die Ex-Frau des Schriftstellers dem Wahrheitsgehalt einiger Passagen öffentlich widersprach. Das Buch beginnt mit einem Yoga-Retreat, genauer gesagt einem Vipassana-Schweigeseminar, das Carrère jedoch nach vier Tagen abbrechen muss, weil ein enger Freund bei dem Anschlag auf die Charlie Hebdo-Redaktion ermordet wird und er gebeten wird die Grabrede zu halten. Von da an geht alles bergab: Schritt für Schritt erzählt der Schriftsteller, wie er die Kontrolle verliert, verwahrlost in die geschlossene Psychiatrie eingeliefert wird und nur mühsam den Weg zurück ins Leben findet.

   

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