Obduktionen stellen eine wichtige medizinische Methode dar, die neben der Qualitätssicherung auch die Möglichkeit bietet, die Auswirkungen und die Pathogenese von Krankheiten an menschlichen Geweben zu untersuchen. Besonders deutlich wurde dies im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. Schon früh während der Pandemie haben die deutsche Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin ein deutsches Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) eingerichtet und sich in einem bisher einmaligen Netzwerk, dem Deutschen Forschungsnetz für Autopsien bei Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs), zusammengeschlossen, um die Auswirkungen von COVID-19 multizentrisch und multidisziplinär zu untersuchen. Das Register und das Netzwerk, dem bereits 35 universitäre und außeruniversitäre Mitglieder angehören, sind für alle interessierten Zentren offen. Als Fortsetzung von DEFEAT PANDEMIcs zur weiteren Entwicklung der obduktionsgestützten Forschung wurde das Konzept des Nationalen Obduktionsnetzwerks (NATON) entwickelt.

Die deutsche Pathologie hat sich sehr früh in der Pandemie (Anfang April 2020) klar für die Obduktion als wichtiges Instrument zum Verständnis der Krankheitspathogenese von SARS-CoV‑2 positioniert und deutlich gemacht, dass Obduktionen bereits bei früheren neu auftretenden Infektionskrankheiten wie Marburg-Virus-Fieber, HIV, MERS und SARS zum „Verständnis klinischer Krankheitsbilder“ und zur Entwicklung therapeutischer Strategien beigetragen haben [3]. Es wurde darauf hingewiesen, dass zum Schutz des Obduktionspersonals bei der Obduktion infektiöser Verstorbener Arbeitssicherheitskonzepte entwickelt wurden, die einen ausreichenden Schutz vor Ansteckung und der Verbreitung von Infektionskrankheiten gewährleisten.

Deutsches Register für COVID-19-Obduktionen

Nach einer längeren Vorbereitungsphase wurde am 15. April 2020 die erste Version des Deutschen Registers für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) initiiert. DeRegCOVID ist ein zentrales Register, das Daten zu möglichst vielen COVID-19- und pandemieassoziierten Obduktionen elektronisch erfasst. Es ermöglicht den angeschlossenen Obduktionszentren (universitäre oder außeruniversitäre Institute für Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin), durch Obduktion gewonnene Daten einzugeben. Dazu gehören Alter, Geschlecht, Vorerkrankungen, Todesursache (nach der internationalen Todesbescheinigung der WHO [15]) und die Anzahl und Art der lokal archivierten Proben in einem eCRF („electronic case report form“). Die Plattform „Libre Clinica“ (https://covidpat.ukaachen.de/LibreClinica/pages/login/login) wird verwendet, auf welche via Internet über alle gängigen Internetbrowser leicht zugegriffen werden kann. Jedes Zentrum erhält seine eigenen Zugangsdaten inklusive Passwort. DeRegCOVID hält sich an die folgende 2 Grundsätze: (1) Die Bioproben bleiben dezentral und im Eigentum der jeweiligen Obduktionszentren und (2) die Daten werden nur nach Absprache und in Zusammenarbeit mit dem jeweiligen Zentrum für gemeinsame Analysen (und Publikationen) verwendet. Zu den Aufgaben von DeRegCOVID gehören neben der systematischen elektronischen Erfassung von Daten und Biomaterialien aus Obduktionen auch die Unterstützung der Obduktionszentren bei der Dateneingabe und bei Fragen zur Durchführung von COVID-19-Obduktionen sowie die Vermittlung von nationalen und internationalen Anfragen für Forschungsprojekte an die Obduktionszentren (Abb. 1; [12, 13]). Die von den Obduktionszentren eingegebenen Daten werden auf Vollständigkeit und Plausibilität geprüft, zentral kuratiert und ausgewertet. Die Ergebnisse werden an die Fachgesellschaften, Gesundheitsbehörden und die Öffentlichkeit kommuniziert [12, 13]. Ein Downloadbereich bietet Zugang zu allen bisher verfügbaren Empfehlungen und SOPs (Standard Operating Procedures). Ein Antragsformular für Forschungsprojekte ist auf der Website verfügbar (www.DeRegCOVID.ukaachen.de). Im April 2021 wurde DeRegCOVID auf ein neues System (Libre Clinica) migriert, das mehr Funktionalität und Datensicherheit bietet und in einer neuen Version (V3.0.1) weitere pandemierelevante Aspekte sowie Änderungen aufgrund von Nutzerfeedback implementiert. DeRegCOVID ist flexibel und lässt sich schnell an veränderte Bedingungen anpassen. Als fast zeitgleich mit dem Beginn der Impfungen betagter BürgerInnen in Deutschland Ende 2020 [9] Infektionen mit besorgniserregenden SARS-CoV-2-Varianten bekannt wurden und im März 2021 einzelne Todesfälle nach Impfungen mit dem Impfstoff von AstraZeneca auftraten, wurde der eCRF von DeRegCOVID um Impfungen und Virusvarianten erweitert und zusätzlich durch Datensätze aus dem Register der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie, CNS-COVID-19, ergänzt.

Abb. 1
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Aufgaben und Ziele des Deutschen Registers für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID). (© Alle Rechte vorbehalten, mit freundlicher Genehmigung der Autoren für DeRegCOVID)

Die im Register gesammelten Probeninformationen umfassen die verschiedensten postmortalen menschlichen Biomaterialien. Es handelt sich um ein sehr breites Spektrum von Probenarten aus fast allen Geweben und Organen in mehreren Aliquoten (manchmal 100–200 verschiedene Proben pro Fall). Die Proben werden an die örtlichen Gegebenheiten und Möglichkeiten angepasst und auf unterschiedliche Weise verarbeitet und gelagert.

Die Anfragen von Wissenschaftlern werden wie in Abb. 2 dargestellt bearbeitet. Die offene und kooperative Struktur von DeRegCOVID hat sich bisher bewährt. Das integrative Konzept, bei dem jeder Netzwerkpartner autonom über die Weitergabe der von ihm gesammelten Daten und Bioproben entscheiden kann, ermöglicht es jedem Obduktionszentrum, selbst zu prüfen, ob die zum Teil komplexen Fragestellungen mit den angeforderten Proben und den geplanten Projekten tatsächlich beantwortet werden können und ob die Proben sich dafür eignen. Ein erstes Forschungsprojekt außerhalb von COVID-19 ist bereits mit dem Robert Koch-Institut und dem Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin initiiert worden.

Abb. 2
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Probenbeantragung über das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID). (© Alle Rechte vorbehalten, mit freundlicher Genehmigung der Autoren für DeRegCOVID)

DEFEAT PANDEMIcs

Mit Unterstützung von DeRegCOVID als zentralem elektronischem Rückgrat wurde Anfang Juli im Rahmen des Netzwerks Universitätsmedizin (NUM) das erste Konzept für das Deutsche Forschungsnetzwerk für Obduktionen bei Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs) entwickelt, das bereits im September 2020 offiziell gestartet ist. Das DEFEAT PANDEMIcs-Konsortium besteht aus 27 universitären Obduktionszentren aus den Bereichen Rechtsmedizin, Pathologie und Neuropathologie, die Daten aus COVID-19-Obduktionen sowie standardisierte postmortale Gewebe und Körperflüssigkeiten sammeln.

DEFEAT PANDEMIcs ist es gelungen, mehr als drei Viertel aller nationalen, universitären Pathologie‑, Neuropathologie- und Rechtsmedizininstitute zu Obduktionszentren zu vernetzen. Insgesamt haben die Obduktionszentren von DEFEAT PANDEMIcs mehr als 80 wissenschaftliche Artikel veröffentlicht, einige davon in führenden Fachzeitschriften wie dem New England Journal of Medicine, The Lancet, Immunity und anderen [1, 2, 4,5,6,7,8, 10, 11, 14]. DEFEAT PANDEMIcs ist in das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) eingebettet, einschließlich der Zusammenarbeit mit vielen NUM-Projekten. Das Netzwerk hat umfangreiche Aufklärungsarbeit geleistet und neben dem wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn durch intensive Öffentlichkeitsarbeit die essenzielle Rolle der Obduktion im Pandemiemanagement gegenüber Politik und Öffentlichkeit kommuniziert. Dies hat kürzlich sogar zu einer Änderung von § 25 des Infektionsschutzgesetzes (Absatz 4) geführt, um den Einsatz von Obduktionen als wichtiges Instrument des öffentlichen Gesundheitswesens zur Pandemiebekämpfung zu stärken und zu erleichtern. Künftig soll (früher: kann) die zuständige Behörde die innere Leichenschau anordnen, wenn es das Gesundheitsamt für erforderlich hält. Dies hat sich sehr schnell in der Praxis durchgesetzt. Schon nach kurzer Zeit zeigte sich eine steigende Zahl von Obduktionen, die von den Gesundheitsbehörden angeordnet wurden.

Im Rahmen des DEFEAT-PANDEMIcs-Konsortiums werden methodische und technische Entwicklungen und Prozessstandards erarbeitet, z. B. für bildgebungsgestützte Befunde, minimal-invasive Obduktionstechniken (MIA) in Kombination mit Ultraschall und Computertomographie (einschließlich Robotersystemen), neue ultrahochauflösende Bildgebungsverfahren an feucht- und paraffineingebettetem Material, und OMICs-Technologien wie Genomics, Transkriptomics, Proteomics und Metabolomics.

SARS-CoV-2-positive Gewebeproben aus Obduktionen in DEFEAT PANDEMIcs können zentral mittels Multiplex-PCR auf das Vorhandensein bekannter Mutationen untersucht und bei Bedarf sequenziert werden. An ausgewählten Standorten wurde ein Sequenzierungsprojekt für Virusvarianten bei Todesfällen gestartet. Diese Virusvarianten mit veränderten Eigenschaften hinsichtlich Wirtsanpassung und Immunevasion sowie möglicherweise Pathogenese sind seit Dezember 2020 von Interesse für die Wissenschaft und die Öffentlichkeit. Insgesamt zeigen die Erfolge von DEFEAT PANDEMIcs in der ersten Förderperiode deutlich den Bedarf an einem hochspezialisierten, multizentrischen Obduktionsnetzwerk bei Pandemien wie COVID-19.

NATON

Die Herausforderungen dieser und auch möglicher weiterer Pandemien sowie die möglichen breiten Anwendungen der Obduktionsforschung erfordern die Entwicklung und flexible Anpassung des DEFEAT-PANDEMIcs-Netzwerks, das als Katalysator für die Ausarbeitung eines Konzepts zur Weiterentwicklung von DEFEAT PANDEMIcs im Rahmen von NUM diente: das Nationale Obduktionsnetzwerk (Akronym: NATON, Abb. 3). NATON wird die erfolgreichen Ansätze von DEFEAT PANDEMIcs fortsetzen und den Schwerpunkt auf den Übergang zu einer nachhaltigen und vielseitigen Basisinfrastruktur innerhalb von NUM legen. NATON wird die Expertise von universitären und außeruniversitären Spezialisten in Deutschland bündeln, die sich mit Obduktionen und der Analyse von Obduktionsproben beschäftigen.

Abb. 3
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Logo des Nationalen Obduktionsnetzwerks (NATON). (© Alle Rechte vorbehalten, mit freundlicher Genehmigung der Autoren für NATON)

Das übergeordnete Ziel von NATON ist es, eine Dienstleistungs‑, Experten- und Entwicklungsplattform für die vernetzte, obduktionsgetriebene Forschung innerhalb und für NUM und für die nationale und internationale Forschungsgemeinschaft bereitzustellen. Die wichtigsten strukturellen Ziele von NATON zur Erreichung dieses Ziels sind

  1. 1.

    eine langfristige Pandemie-Preparedness-Infrastruktur,

  2. 2.

    Nukleus für kollaborative Obduktionsforschung,

  3. 3.

    nachhaltige NUM-Plattform mit breiten Anwendungsbereichen,

  4. 4.

    die Integration von komplementärem Fachwissen, Daten und Proben in NUM.

Die offene und partizipative Gestaltung der Leitungsstruktur und des Nutzerkonzepts ermöglicht es NATON, beliebige andere Partner einzubeziehen. Die NATON-Dienste werden standardisiert und skalierbar sein und allen Partnern zur Verfügung stehen. Diese Kernfunktionalitäten von NATON werden kontinuierlich angepasst und weiterentwickelt, um auf sich ändernde Situationen zu reagieren und die bestmöglichen Dienste bereitzustellen.

Die wissenschaftlichen Ziele von NATON bestehen darin, die COVID-19-Forschung im Einklang mit dem allgemeinen NUM-Fokus weiter zu unterstützen. NATON wird sich im Jahr 2022 insbesondere mit den folgenden Themen befassen: die pathophysiologische Rolle der pathogenen SARS-CoV-2-Varianten, die Folgen von COVID-19 (d. h. „late COVID“ oder „Post-COVID-Zustände“) sowie mit impfstoffbedingten Komplikationen oder Nebenwirkungen (z. B. impfstoffinduzierte immune thrombotische Thrombozytopenie [VITT]), Durchbruchinfektionen und Impfstoffversagen.

Dieser Ansatz wird letztlich eine rasche Rückkopplung zwischen Forschung, Patientenversorgung und Pandemiemanagement ermöglichen, sodass einerseits klinische und Managementfragen in Forschungsansätze umgesetzt und andererseits Forschungsergebnisse in Patientenversorgung und Krisenmanagement übersetzt werden können.

Schlussfolgerungen

Die breite Unterstützung des Deutschen Registers für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) und des Deutschen Forschungsnetzes für Autopsien in Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs) durch Obduktionszentren aus Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin in ganz Deutschland und die vielfältigen Kooperationen zwischen den Zentren haben den hohen Stellenwert der Obduktion als Instrument zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie, zukünftiger Pandemien und auch anderer Anwendungsgebiete deutlich gemacht. Dies spiegelt sich in der geplanten Fortführung von DeRegCOVID und der geplanten Weiterentwicklung des Nationalen Obduktionsnetzwerkes (NATON) wider.

Fazit für die Praxis

  • Der hohe Stellenwert der Obduktion als Instrument der modernen Medizin wurde durch das Deutsche Register für COVID-19-Obduktionen (DeRegCOVID) und das Forschungsnetzwerk für Obduktionen bei Pandemien (DEFEAT PANDEMIcs) weiter gefestigt.

  • Trotz ihrer kurzen Laufzeit konnten beide Infrastrukturen relevante Beiträge leisten, insbesondere durch die beispiellose Beteiligung einer großen Zahl deutscher Obduktionszentren.

  • Die Vorteile und die zukünftige Notwendigkeit einer vernetzten, multizentrischen (obduktionsgetriebenen) Forschung wurden durch diese Projekte bisher erfolgreich praktiziert.

  • Neben den wissenschaftlich-medizinischen Erfolgen hat die intensive Zusammenarbeit der deutschen Pathologie, Neuropathologie und Medizin auch zu Änderungen in der Gesetzgebung (§ 25 Infektionsschutzgesetz) geführt, die sich schnell in der Praxis etabliert hat.

  • Die Infrastrukturen sind offen und alle interessierten Zentren können sich anschließen.

  • Die geplante Fortführung von DeRegCOVID und die Weiterentwicklung von DEFEAT PANDEMIcs zu einem Nationalen Obduktionsnetzwerk (NATON) sind starke zukunftsweisende Signale der deutschen Pathologie, Neuropathologie und Rechtsmedizin.