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Wo die Sozialwerke die Arbeitsanreize hemmen

Soll man noch bis zur Pensionierung arbeiten oder sich frühpensionieren lassen? Und schrumpft das verfügbare Einkommen, wenn man sich einen Zusatzverdienst sucht? Viele Sozialversicherungen bieten kaum Anreize, länger oder mehr zu arbeiten. Eine Studie zeigt, was sich dagegen tun liesse.
Transferleistungen für junge Erwachsene schaffen schon früh Abhängigkeiten und erschweren den Wiedereinstieg. (Bild: Keystone)

In der Schweiz gewährleistet ein engmaschiges soziales Sicherheitsnetz in jeder Lebenslage den Lebensunterhalt der Bevölkerung. Beitragsfinanzierte Pflichtversicherungen wie die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV) sichern soziale Risiken wie Alter, Invalidität oder Krankheit ab. Ausserdem richten durch allgemeine Steuermittel finanzierte sozialstaatliche Einrichtungen wie die Ergänzungsleistungen zur AHV und zur Invalidenversicherung bedarfsabhängige Leistungen aus. Der Ausbau der Sozialwerke hat massgebend dazu beigetragen, die Lebensverhältnisse umfassender Teile der Bevölkerung bedeutend zu verbessern. Doch die wachsenden Ausgaben stellen Politik und Gesellschaft immer öfter vor Herausforderungen.

Eine Grundlagenstudie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) hat deshalb untersucht, inwiefern sich die Sozialwerke negativ auf das Arbeitsangebot auswirken. Ausserdem wurden Lösungsansätze diskutiert, wie sich die Arbeitsanreize verbessern liessen.[1]

Erwerbsanreize im gesellschaftlichen Interesse


Sowohl die Sozialsysteme als auch die zu ihrer Finanzierung benötigten Abgaben und Steuern üben Anreizwirkungen aus. Denn sie beeinflussen das verfügbare Einkommen der Haushalte wesentlich. Beispielsweise können öffentliche Hilfeleistungen die Empfänger davon abhalten, ihr Pensum zu erhöhen oder überhaupt eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen. Von einer möglichst anreizkompatiblen Ausgestaltung der Sozialversicherungen profitieren daher sowohl die betroffene Person als auch die Gesellschaft. Letztere profitiert gleich doppelt: Denn einerseits steigt durch den Abbau von Fehlanreizen die Erwerbsbeteiligung von Leistungsbeziehenden, sodass der Staat weniger Transferleistungen ausbezahlen muss. Andererseits kann der Staat zugleich mit höheren Steuererträgen und Sozialversicherungsbeiträgen rechnen.

Durch die demografische Entwicklung und das immer zuwanderungskritischere Umfeld gilt es ausserdem das Potenzial der inländischen Arbeitskräfte stärker auszuschöpfen. Dabei müssen die Zielkonflikte berücksichtigt werden, die mit der Stärkung der Arbeitsanreize verbunden sein können. Denn in der Sozialpolitik stehen die Entscheidungsträger oft vor einem Trilemma: Das Niveau der sozialen Sicherung soll erhalten bleiben, die Finanzierbarkeit muss gewährleistet sein, und gleichzeitig braucht es wirksame Arbeitsanreize. Je nach Gewichtung der einzelnen Zielsetzungen sind Abstriche bei den Arbeitsanreizen oder dem Niveau der sozialen Sicherung unausweichlich.

Wie reagiert das Arbeitsangebot?


Fehlende Arbeitsanreize sind typischerweise in tieferen Einkommensklassen ein Problem. Denn der Staat garantiert mit unterschiedlichen Sozialtransfers wie Sozialhilfe oder Arbeitslosenentschädigung in jeder Lebenssituation ein Existenzminimum. Dadurch erhöht sich der sogenannte Reservationslohn – d. h. die minimale Lohnschwelle, unter der eine Person nicht bereit ist, eine Beschäftigung aufzunehmen. Ebenso kann die individuelle Wahl des Arbeitsangebots durch höhere Lohnbeiträge negativ beeinflusst werden, da diese zu tieferen Nettolöhnen führen.

Untersucht man, wie das individuelle Verhalten auf solche Anreize reagiert, wird grundsätzlich zwischen dem intensiven und dem extensiven Arbeitsangebot unterschieden. Das intensive Angebot bezeichnet die Veränderung der Arbeitsstunden (Arbeitsintensität). Um diese Anreizwirkung zu quantifizieren, berechnet man in der empirischen Forschungsliteratur den effektiven Grenzsteuersatz (siehe Glossar). Hohe effektive Grenzsteuersätze sind ein Indiz für sogenannte Armutsfallen, in denen es für die Betroffenen immer schwieriger wird, aus der Armut herauszukommen. Das extensive Arbeitsangebot beschreibt eine Veränderung der Arbeitsmarktpartizipation. Hier geht es darum, herauszufinden, inwiefern die Sozialwerke die Entscheidung zur Aufnahme oder vollständigen Aufgabe einer Erwerbstätigkeit beeinflussen. Sogenannte Arbeitslosigkeitsfallen sind oft auf hohe Partizipationssteuersätze zurückzuführen. Für die Beurteilung der Arbeitsanreize in den Sozialversicherungen ist letztendlich der Gesamteffekt auf das intensive und extensive Arbeitsangebot entscheidend.

Arbeitsanreize lassen sich überdies gemäss ihrer Ausprägung kategorisieren: Positive Arbeitsanreize bestehen, wenn sich zusätzliche Erwerbstätigkeit positiv im Nettoeinkommen niederschlägt. Der Partizipationssteuersatz bzw. der effektive Grenzsteuersatz liegt dann unter 100 Prozent. Liegt er über 100 Prozent, spricht man von negativen Arbeitsanreizen. Positive Arbeitsanreize alleine reichen jedoch nicht in jedem Fall, um eine Arbeitsaufnahme oder eine Erhöhung des Arbeitsangebots attraktiv zu machen. Grund dafür sind unter anderem mit der Arbeit verbundene zusätzliche Kosten, wie die Ausgaben für die Kinderbetreuung oder für den Arbeitsweg. Zwar positive, aber geringe Arbeitsanreize können deshalb ebenfalls Hürden darstellen.

Eine zielgruppenspezifische Sicht


Um die Arbeitsanreize zu analysieren und den Optimierungsbedarf zu identifizieren, haben wir uns für eine zielgruppenspezifische Sicht entschieden. Denn bei der Vielfalt an Anreizen ist eine Gesamtaussage für alle auf dem Arbeitsmarkt tätigen Personen weder möglich noch relevant. Im Fokus stehen fünf Zielgruppen, die in unterschiedlichem Ausmass und in unterschiedlichen Lebensphasen ­– im Erwerbsleben sowie kurz vor und nach der Pensionierung – von den Anreizwirkungen der zwölf untersuchten Sozialwerke betroffen sind (siehe Kasten 1).

Einkommensstarke Personen


Einkommensstarke Personen sind insbesondere bei ihrer Ruhestandsentscheidung mit beeinträchtigten Erwerbsanreizen konfrontiert. Hohe Ersatzraten – akzentuiert durch das tiefe Mindestrücktrittsalter in der zweiten Säule von 58 Jahren – erhöhen die Attraktivität von (Teil-)Pensionierungen vor Erreichen des ordentlichen Rentenalters.[2] Auch nach Erreichen des ordentlichen Pensionsalters bestehen negative Arbeitsanreize: Dann erschweren hohe Grenzsteuersätze (u. a. aufgrund der AHV-Beitragspflicht) eine Verbesserung des verfügbaren Einkommens durch Erwerbsarbeit. Die in der Revision der Altersvorsorge unter dem Stichwort Flexibilisierung beworbenen finanziellen Anreize (Rentenzu- und -abschläge bei Abweichung vom ordentlichen Rentenalter) wirken deshalb nur eingeschränkt. Einen grösseren Einfluss auf die Ruhestandsentscheidung geht indes vom ordentlichen und vom frühestmöglichen Rentenalter aus. [3]

Die Arbeitsanreize während des Erwerbslebens sind für einkommensstarke Personen etwa durch den partiellen Steuercharakter der Beiträge für die erste und die zweite Säule beeinträchtigt. In der beruflichen Vorsorge sollten dieser und die damit verbundene Umverteilung von Jung zu Alt eliminiert werden. Dazu sollte der Mindestumwandlungssatz wenigstens gesenkt und im Idealfall entpolitisiert werden. Einkommensstarke Bezüger einer IV-Rente profitieren ferner dank grosszügigen überobligatorischen Vorsorgelösungen von hohen Ersatzraten, welche das extensive Arbeitsangebot einschränken. Angebracht wäre hier die Reduktion der IV-Kinderrenten. Denn das Vorrenteneinkommen kann insbesondere in Haushalten mit Kindern übertroffen werden.

Einkommensschwache Personen


Vor dem Erreichen des ordentlichen Rentenalters werden die Erwerbsanreize einkommensschwacher Personen, die einen Anspruch auf Ergänzungsleistungen zu AHV und IV (EL) haben, gemindert. Die Kompensationsfunktion der EL setzt Anreize zum Rentenvorbezug und zum Kapitalbezug aus der beruflichen Vorsorge. Dies liesse sich unterbinden, wenn der Bezug von EL zur AHV an das ordentliche Rentenalter geknüpft würde. Für den Pensionierungsentscheid von Personen mit tiefen Einkommen ist vornehmlich das ordentliche Rentenalter massgeblich. Es wirkt ein sogenannter Default-Effekt. Das bedeutet, dass die Rente oft exakt beim Erreichen des Rentenalters bezogen wird, ohne innerhalb der vorhandenen Möglichkeiten gemäss den eigenen Präferenzen zu optimieren.[4] Eine Erhöhung des effektiven Rentenalters dürfte folglich eher durch eine Anhebung des ordentlichen Rentenalters zu erreichen sein. Bestrebungen zur Flexibilisierung sind aus Anreizsicht kritisch zu betrachten. Von den rentenbildenden AHV-Beiträgen bei Erwerbsarbeit im Rentenalter wäre ein zusätzlicher, positiver Einfluss auf das Arbeitsangebot zu erwarten.

Im Erwerbsalter existieren für einkommensschwache Personen Fehlanreize bei der Kombination von IV-Rente mit EL. Die EL ermöglichen die Fortführung des bisherigen Lebensstandards weitgehend ohne Abstriche. Das mindert den Anreiz zur Wiedereingliederung. Hinzu kommt ein Schwelleneffekt beim Ausstieg. Ausserdem bewirken auch die Rentenstufen innerhalb der IV Fehlanreize. Hier bedarf es einer Reihe von Korrekturen: Solange die Höhe des EL-Grundbedarfs nicht diskutiert, keine höheren Einkommensfreibeiträge gewährt werden und sich die Einführung eines stufenlosen IV-Systems weiter verzögert, wird sich die Erhöhung der Erwerbsarbeit für viele IV-Rentenbezüger kaum lohnen.

Jugendliche und junge Erwachsene


Aus Anreizsicht sind Transferleistungen für junge Erwachsene in zweierlei Hinsicht problematisch: Erstens schaffen sie frühzeitige Abhängigkeiten, an die sich die Hilfebeziehenden gewöhnen. Leistungen der IV, unter Umständen in Kombination mit EL, stellen eine bedeutende Einkommensalternative dar. Zweitens hat die Abhängigkeit von Transferleistungen negative Auswirkungen auf ihre Erwerbskarrieren, da sich die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt aufgrund von IV-Rentenstufen und Schwelleneffekten beim Austritt nicht lohnt. Diesbezüglich ist die Idee weiterzuverfolgen, IV-Renten für unter 30-Jährige durch verstärkte Betreuungs- und Eingliederungsmassnahmen zu ersetzen.

Bei den EL und in geringerem Ausmass auch in der Sozialhilfe müsste zur Stärkung der Erwerbsanreize eine Senkung des Grundbedarfs ins Auge gefasst werden. Ausserdem sollte man ein nach Bezugstyp differenziertes Sozialhilfesystem diskutieren, bei dem der Grundbedarf für kinderlose junge Erwachsene geringer ist als der von älteren Leistungsbeziehenden. Im Gegenzug könnten höhere Integrationszulagen für erfolgreiche Anstrengungen zur beruflichen Integration ausgerichtet werden.

Einkommensschwache Familien


Einkommensschwachen Familien wird beim IV-Bezug eines Elternteils eine umfangreiche finanzielle Absicherung gewährleistet, die eine Rückkehr in die Erwerbstätigkeit wenig attraktiv macht. Zusätzlich zu den Kinderrenten der IV und der beruflichen Vorsorge richten auch die EL bei Bedarf steuerfreie Kinder- und Zusatzleistungen aus. Bei den Transferleistungen für Kinder besteht in diesen Sozialwerken Spielraum für Leistungsanpassungen. Um die Erwerbsanreize beim Sozialhilfebezug zu stärken, müssen die wenig übersichtlichen, situationsbedingten Leistungen für Familien überprüft werden. Die Besserstellung von kinderreichen Familien mit Sozialhilfeunterstützung gegenüber anderen Haushalten in bescheidenen Verhältnissen gilt es zu korrigieren.

Zweitverdiener


Die stark eingeschränkten Erwerbsanreize für Zweitverdiener, meist Mütter, durch die Steuerprogression sind hinlänglich bekannt.[5] Ausserdem bestehen ungünstige Anreizwirkungen auch in der AHV: So sind nicht erwerbstätige Ehegatten von der Beitragspflicht befreit, das Einkommenssplitting setzt die für Ehepaare erreichbare AHV-Rente auf höchstens 150 Prozent der Maximalrente fest, und die Erziehungsgutschriften werden unabhängig von der Kinderzahl ausbezahlt. Eine zukünftige AHV-Reform könnte deshalb das Splitting auf Paare mit Kindern beschränken und die Erziehungsgutschriften gemäss Kinderzahl abstufen. Ebenso denkbar wären in der längeren Frist die Einführung einer zivilstandsunabhängigen AHV sowie eine grundlegende Reform des Kinder- und Familiensubventionssystems zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

Berechtigterweise würde heute kaum jemand die geschaffenen Sozialwerke infrage stellen. Es gilt jedoch, die damit verbundenen Anreizwirkungen im Auge zu behalten. Bestehende Anreize, die vom Eintritt in den Arbeitsmarkt oder von Zusatzverdiensten abhalten, sind idealerweise zu korrigieren. Wie unsere Übersichtsstudie zeigt, gibt es diesbezüglich durchaus Potenzial. Doch die Realisierung bewegt sich oft in einem sozialpolitischen Trilemma: Will man mit vertretbarem Mitteleinsatz sowohl Arbeitsanreize schaffen als auch Schwelleneffekte mindern, führt meist kein Weg an einem tieferen Niveau der sozialen Sicherheit vorbei.

  1. Siehe Leisibach et al. (2018). Die Anreizwirkungen auf die Arbeitsnachfrage sind nicht Gegenstand der Studie. In der Analyse wird folglich implizit davon ausgegangen, dass eine passende Arbeitsnachfrage vorhanden ist. Ferner werden nicht pekuniäre Arbeitsanreize nur am Rande behandelt. []
  2. Bütler et al. (2004), Dorn und Sousa-Poza (2005). []
  3. Z. B. Coile (2015) für eine Übersicht zur internationalen Literatur und Lalive et al. (2017) zur Schweiz. []
  4. Siehe Lalive et al. (2017). []
  5. Z. B. Bütler (2007). []

Literaturverzeichnis

  • Bütler, M. (2007). Arbeiten lohnt sich nicht – ein zweites Kind noch weniger. Zu den Auswirkungen einkommensabhängiger Tarife auf das (Arbeitsmarkt-) Verhalten der Frauen, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 8(1): 1–19.
  • Bütler, M., Huguenin, O. und Teppa, F. (2004). What Triggers Early Retirement? Results from Swiss Pension Funds. Working Paper. University of Lausanne.
  • Coile, C. C. (2015). Economic Determinants of Workers’ Retirement Decisions, in: Journal of Economic Surveys 29(4): 830–853.
  • Dorn, D. und Sousa-Poza, A. (2005). The Determinants of Early Retirement in Switzerland, in: Swiss Journal of Economics and Statistics 141(2): 247–283.
  • Lalive, R., Magesan, A. und Staubli, S. (2017). Raising the Full Retirement Age: Defaults vs. Incentives. Working Paper.
  • Leisibach, P., Schaltegger, C.A. und Schmid, L. A. (2018). Arbeitsanreize in der sozialen Sicherheit. Überblicksstudie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO.

Bibliographie

  • Bütler, M. (2007). Arbeiten lohnt sich nicht – ein zweites Kind noch weniger. Zu den Auswirkungen einkommensabhängiger Tarife auf das (Arbeitsmarkt-) Verhalten der Frauen, in: Perspektiven der Wirtschaftspolitik 8(1): 1–19.
  • Bütler, M., Huguenin, O. und Teppa, F. (2004). What Triggers Early Retirement? Results from Swiss Pension Funds. Working Paper. University of Lausanne.
  • Coile, C. C. (2015). Economic Determinants of Workers’ Retirement Decisions, in: Journal of Economic Surveys 29(4): 830–853.
  • Dorn, D. und Sousa-Poza, A. (2005). The Determinants of Early Retirement in Switzerland, in: Swiss Journal of Economics and Statistics 141(2): 247–283.
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  • Leisibach, P., Schaltegger, C.A. und Schmid, L. A. (2018). Arbeitsanreize in der sozialen Sicherheit. Überblicksstudie im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO.

Zitiervorschlag: Christoph A. Schaltegger, Lukas A. Schmid, Patrick Leisibach, (2018). Wo die Sozialwerke die Arbeitsanreize hemmen. Die Volkswirtschaft, 20. März.

Kasten 1: Die Studie

Die Studie bietet erstmals eine Gesamtsicht zur sozialen Sicherheit aus der Optik des Arbeitsmarkts. Dabei steht insbesondere das Arbeitsangebot im Fokus. Insgesamt wurden zwölf Sozialwerke analysiert: die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHV), die Invalidenversicherung (IV), die Ergänzungsleistungen zur AHV und zur IV (EL), die berufliche Vorsorge (BV), die Krankenversicherung (KV), die Unfallversicherung (UV), die Arbeitslosenversicherung (ALV), die Erwerbsersatzordnung (EO) und die Mutterschaftsentschädigung, die Familienzulagen (FZ), die Militärversicherung (MV) sowie die kantonalen Bedarfsleistungen Sozialhilfe und individuelle Prämienverbilligung (IPV). Die Autoren haben anhand einer detaillierten Aufarbeitung der wissenschaftlichen Literatur untersucht, in welchen Sozialwerken Arbeitsanreize zur Aufnahme und Erhöhung einer Erwerbstätigkeit beeinträchtigt werden. Zudem wurden aktuelle Reformen der Sozialwerke hinsichtlich ihrer Arbeitsanreize beurteilt sowie Korrekturmassnahmen und Handlungsbedarf aufgezeigt.

Kasten 2: Glossar

Die Ersatzrate entspricht dem verfügbaren Renteneinkommen in Prozent des letzten verfügbaren Erwerbseinkommens.

Der effektive Grenzsteuersatz ermittelt den Anteil des zusätzlichen Erwerbseinkommens, der nach Erhöhung des Arbeitspensums durch Steuern, Lohnabgaben und niedrigere Transferleistungen verloren geht. Ein effektiver Grenzsteuersatz von 100 Prozent bedeutet, dass das erhöhte Arbeitspensum zu keinem Anstieg des verfügbaren Einkommens führt.

Der Partizipationssteuersatz misst den Anteil des Erwerbseinkommens, der nach Aufnahme einer Erwerbstätigkeit durch Steuern, Lohnabgaben und niedrigere Transferleistungen verloren geht. Ein Partizipationssteuersatz von 100 Prozent bedeutet demnach, dass eine bisher nicht erwerbstätige Person nach Arbeitsaufnahme das gleiche verfügbare Einkommen wie ohne Arbeitseinsatz aufweist.

Schwelleneffekte stellen besonders gravierende negative Arbeitsanreize dar: Sie bestehen, wenn eine geringe Erhöhung des Arbeitseinkommens zu einem überproportional hohen Rückgang des verfügbaren Einkommens führt (der effektive Grenzsteuersatz liegt dann weit über 100%). Schwelleneffekte entstehen etwa, wenn eine Anspruchsberechtigung auf Bedarfsleistungen (z. B. Sozialhilfe) endet oder Transferleistungen stufenweise reduziert werden (z. B. Invalidenversicherung).

Von (partiellem) Steuercharakter der Sozialversicherungsbeiträge spricht man, wenn Beitrag und Leistung nicht oder (teilweise) verknüpft sind. So sind Einkommen oberhalb von 84’600 Franken in der AHV nicht mehr rentenbildend, das heisst, die AHV-Rente erhöht sich mit zunehmendem Einkommen nicht mehr. Dennoch besteht eine Beitragspflicht. Der Steuercharakter kann wie in der ersten Säule gewollt oder wie in der zweiten Säule – aufgrund des überhöhten Mindestumwandlungssatzes – systembedingt sein.