Die Klassik Stiftung Weimar hat in ihren Beständen Objekte aus der Sammlung des Kunsthistorikers Dr. Heinrich Schwarz identifiziert, der durch das NS-Regime verfolgt wurde. Eine Zeichnung und zwei Druckgrafiken wurden nun an seine Erbin restituiert.
Bei der systematischen Überprüfung der Objektzugänge des Goethe-Nationalmuseums (GNM) im Zeitraum von 1933 bis 1945 stießen die Provenienzforscher der Klassik Stiftung Weimar auf einen Eintrag im Neuerwerbungsbuch des Museums: Am 4. März 1942 erwarb das GNM über den Kunsthändler und Antiquar Lothar Hempe zwei Kupferstiche. Die beiden Drucke zeigen Porträts von Zeitgenossen Friedrich Schillers nach Gemälden von Johann Friedrich August Tischbein (1750–1812), dem sogenannten Leipziger Tischbein.
Zunächst war über die Herkunft der beiden Stiche nichts bekannt. Zu den Hintergründen des Verkaufs an das GNM sind in den Akten des Museums keine Informationen überliefert. Der Zeitpunkt und die Erwerbung über den Antiquariatshandel gaben jedoch Anlass zu einem ersten Verdacht. In einem weiteren Schritt autopsierten die Provenienzforscher die beiden Stiche. Diese eingehende Untersuchung erbrachte erstmals Hinweise auf den vormaligen Eigentümer: Bei beiden Objekten fand sich auf der Rückseite ein Sammlerstempel mit den schlicht gehaltenen Initialen „H.S.“
Inzwischen war im Bestand der ehemaligen Staatlichen Kunstsammlungen zu Weimar ein noch bedeutsameres Objekt aufgefallen. Der damalige Direktor der Kunstsammlungen, Walther Scheidig (1902–1977), hatte im Mai 1941 auf einer Auktion des Leipziger Kunst- und Buchantiquariats C.G. Boerner eine Zeichnung des Malers und Grafikers Heinrich Reinhold (1788–1825) gekauft. Dieser gehörte zu den sogenannten Deutsch-Römern, einem Kreis deutscher Maler, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts verstärkt in Rom und dessen Umgebung aufhielten. Noch vor seiner Übersiedlung nach Italien, als er in Wien lebte und sich intensiv mit der Natur beschäftigte, schuf Reinhold die Skizze eines alten, weit überhängenden Baumes, die seine große Meisterschaft in der Erfassung von Naturmerkmalen offenbart. Doch auch bei dieser Erwerbung lieferten weder die hauseigenen Akten noch die Angaben im zugehörigen Auktionskatalog Hinweise auf vormalige Eigentümer.
Wer war „H.S.“?
Auf der Rückseite der Reinhold-Zeichnung fand sich jedoch ebenfalls der bereits bekannte Sammlerstempel „H.S.“ Jetzt war zu klären: Welcher Sammler verbirgt sich hinter diesen Initialen?
Die weiteren Recherchen ergaben, dass sich der ermittelte Stempel zweifelsfrei dem österreichischen Kunsthistoriker Dr. Heinrich Schwarz (1894–1974) zuordnen lässt. Zunächst unbezahlter Mitarbeiter der Graphischen Sammlung Albertina in Wien, wechselte Heinrich Schwarz 1923 an die Österreichische Galerie Belvedere, wo er ab 1927 als Kurator eine Vielzahl an Ausstellungen zur Kunst des 19. Jahrhunderts konzipierte. Dabei verknüpfte der Kunsthistoriker seine Spezialisierung auf grafische Kunst mit einem lebhaften Interesse an modernen Reproduktionsverfahren und schuf so als einer der Ersten überhaupt eine Verbindung zwischen Kunst- und Technikgeschichte. Auch aus diesem Grund gilt er als Pionier der Forschung zur künstlerischen Fotografie.
Verfolgung durch das NS-Regime
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 geriet Heinrich Schwarz jedoch in das Blickfeld des NS-Regimes. Seine Karriere fand ein jähes Ende: Bereits im April 1938 verlor er aufgrund seiner jüdischen Herkunft seine Anstellung, sodass ihm nur noch die Emigration ins sichere Ausland blieb.
Österreich wurde unmittelbar nach dem „Anschluss“ zum Experimentierfeld des NS-Regimes. Hier begann die systematische wirtschaftliche Ausplünderung der jüdischen Bevölkerung, um diese schnellstmöglich in die Emigration zu drängen. So erprobten die Nationalsozialisten unter anderem ab Sommer 1938 mit der sogenannten Passumlage in Österreich eine Zwangsmaßnahme, die im Jahr darauf auch im „Altreich“ eingeführt wurde: Sie sollte verhindern, dass insbesondere jüdische Emigranten Vermögen und Kunstbesitz in größerem Ausmaß außer Landes bringen konnten.
Heinrich Schwarz musste zudem gegenüber den NS-Behörden eine sogenannte Vermögensanmeldung abgeben. Diese enthielt unter anderem Auskünfte über seine private Kunstsammlung, die Gemälde, Zeichnungen, Stiche und Fotografien umfasste. Es sind keine Einzelheiten zu den genauen Umständen bekannt, sicher ist jedoch, dass Heinrich Schwarz aufgrund der Verfolgung durch das NS-Regime zur Flucht ins Ausland gezwungen war und dadurch seine Kunstsammlung verlor.
Die Klassik Stiftung Weimar bewertet den Ankauf der drei Grafiken als verfolgungsbedingte Kulturgutentziehungen. Sie orientiert sich dabei an den 1998 vereinbarten Washingtoner Prinzipien und sucht gemeinsam mit den Rechtsnachfolgern der früheren Eigentümer nach gerechten und fairen Lösungen.
Heinrich Schwarz emigrierte im März 1939 zunächst nach Schweden, 1940 schließlich in die USA. Hier arbeitete er anfänglich am Albright Knox Museum in Buffalo, NY, ab 1943 dann als Kurator des Museum of Art der Rhode Island School of Design, einer der renommiertesten Kunsthochschulen der Vereinigten Staaten. Ab 1954 bis zu seiner Emeritierung 1972 war er Kurator am Davison Art Center der Wesleyan University, Middletown, CT. Heinrich Schwarz starb 1974 in New York.
Suche nach den Erben
Die Recherchen ergaben, dass Heinrich Schwarz 1948 Elisabeth Arany geheiratet hatte, eine Ungarin jüdischer Herkunft, die ebenfalls in die USA emigriert war. Schwarz’ Testament konnte beim Nachlassgericht in New York ausfindig gemacht werden; er hatte darin seine Ehefrau als Alleinerbin eingesetzt, Kinder hatte das Ehepaar nicht. Die Witwe lebte bis zu ihrem Tod im Jahr 2003 in New York. Die Suche nach gesetzlichen Erben verlief zunächst erfolglos, da sowohl die Witwe als auch ihre Geschwister ihre Namen durch Eheschließungen und Aufgabe des Geburtsnamens mehrfach geändert hatten.
Die genauen Verwandtschaftsverhältnisse ließen sich schließlich nur mit Hilfe des in New York ansässigen Holocaust Claims Processing Office (HCPO) aufklären. Das HCPO ist eine staatliche Einrichtung, die zwischen Antragstellern und den gegenwärtigen Besitzern von NS-verfolgungsbedingt entzogenem Kulturgut vermittelt. Durch die Unterstützung des HCPO konnte in London eine Nichte Heinrich Schwarz’ gefunden werden. Zu ihr nahm die Klassik Stiftung Kontakt auf und vereinbarte mit ihr die Restitution der drei Grafiken. Im Februar 2022 wurden die Werke durch die in London ansässige Commission for Looted Art in Europe überreicht und befinden sich nun im Besitz der rechtmäßigen Erbin.
Die Klassik Stiftung Weimar überprüft seit 2010 ihre Bestände systematisch, das heißt chronologisch und bestandsübergreifend, auf NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter (sogenanntes NS-Raubgut).
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